Datev-Vorstandschef Robert Mayr über das Erfolgsgeheimnis des IT-Dienstleisters, digitalen Rückstand in Deutschland und die Pläne des Softwarehauses für seine Steuerapp Von Stefan Rullkötter

Boerse-online.de: Sie steuern Deutschlands drittgrößtes Softwarehaus. Wie verlief bisher für Sie das Jahr 2022 in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld für IT-Dienstleister?
Robert Mayr: Im ersten Halbjahr 2022 haben wir einen Umsatz von 639,6 Millionen Euro erzielt und sind damit sicher gut aufgestellt. Im Juni haben wir zudem bei der Zahl der monatlichen Lohn- und Gehaltsabrechnungen über Datev-Lösungen mit 14,4 Millionen einen neuen Höchstwert erreicht.

Ihr Unternehmen ist vielen Berufstätigen bei Gehaltsabrechnungen ein Begriff. In welchem Bereich erzielen Sie den höchsten Umsatz?
Betrachtet man die einzelnen Produktgruppen, ist im Geschäftsjahr 2021 der Bereich Rechnungswesen-Lösungen wie schon in den Vorjahren absolut am stärksten gewachsen. Diese sind und bleiben für unsere Mitglieder und deren Mandanten auch die wichtigsten. Gerade in herausfordernden Zeiten. Insgesamt belief sich der Umsatz hier auf 413,0 Millionen Euro.

Im vergangenen Jahr konnte Datev den Umsatz insgesamt um 5,5 Prozent auf 1,22 Milliarden Euro steigern. In welchen Geschäftsfeldern sind Sie zuletzt am stärksten gewachsen?
Einen erheblichen Anteil tragen unsere Cloud-Lösungen für Unternehmen, Auftragswesen, Beleg- und Personalmanagement bei. Sie waren vergangenes Jahr für knapp die Hälfte des Umsatzwachstums verantwortlich.

Was sind im Bereich Cloud Ihre wichtigsten Dienstleistungen?
Das sind insbesondere die Lösungen, die die Kollaboration zwischen Unternehmen und ihren Steuerberatern erleichtern, zum Beispiel  „Datev Unternehmen online“. Zum Halbjahr 2022 waren hier knapp 2,7 Milliarden Belege von mehr als 918 000 Unternehmen digital in der Datev-Cloud gespeichert.

Können Sie als CEO also relativ sorglos in die Zukunft schauen?
Die derzeit schwierige gesamtwirtschaftliche Situation wird auch an unserer Genossenschaft nicht spurlos vorbeigehen. Wir beobachten die Lage sehr genau und haben vor allem die Kostenentwicklung permanent im Blick. Zudem belasten die aktuellen Entwicklungen auch unsere Mitglieder. Pandemie, Ukraine-Krieg, Lieferkettenprobleme, Inflation, Energiepreiserhöhungen und Fachkräftemangel belasten nachgelagert auch unser Geschäftsumfeld.

Besonders Mittelstand und Kleinunternehmen müssen derzeit eine Vielzahl an wirtschaftlichen Herausforderungen meistern. Wie erleben Sie diese sich überlagernden Krisen als einer der wichtigsten Softwarepartner dieser Zielgruppe?
Überwiegend sind davon Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitenden bedroht. Auch die nicht von Insolvenz bedrohten Betriebe stehen nach Einschätzung der Steuerkanzleien vor erheblichen Herausforderungen. Die von uns befragten Steuerberater sehen bei 80 Prozent ihrer Unternehmenskunden einen Fachkräftemangel. Zudem sind demnach 70 Prozent von steigenden Energiekosten betroffen, 68 Prozent von steigenden Rohstoffpreisen allgemein, 59 Prozent von Überregulierung und Bürokratie, 55 Prozent von Personalausfällen, 49 Prozent von Inflation und 48 Prozent von Lieferkettenproblemen.

Hat diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Investitionen?
Lang- oder mittelfristige strategische Projekte werden aktuell durch kurzfristiges, operatives Krisenmanagement verdrängt. Unternehmen müssen auf die Schnelle ihre Geschäftsprozesse oder sogar die kompletten Geschäftsmodelle anpassen. Hilfe erhalten Betriebe hier von ihren Steuerberatern. Das führt zu einer außerordentlichen Arbeitsbelastung auch in den Kanzleien.

Haben Sie dazu konkrete Zahlen?
88 Prozent der von uns befragten Kanzleien sehen sich überlastet oder sogar erheblich überlastet. Auslöser der hohen Arbeitslast ist vor allem die Abwicklung von Corona-Wirtschaftshilfen – immerhin hat die Regierung seit Beginn der Pandemie zehn verschiedene Hilfspakete aufgelegt.

Welche Folgen hat dies besonders für diese Berufsgruppe?
Diese Herausforderungen für Wirtschaft und Steuerberater binden für die strategische Weiterentwicklung dringend benötigte Ressourcen. Wenn sich langfristig wichtige Digitalisierungsprojekte verzögern, ist das gefährlich. Gerade in dieser herausfordernden Situation wurde deutlich, dass die Digitalisierung in Kanzleien und Unternehmen ein entscheidender Erfolgsfaktor ist.

Welche Ziele verfolgen Sie bei Ihrer Steuer-App für Privatkunden?
Wir betrachten Klartax nicht als Einzelprojekt, das mit der Datev-Welt nichts zu tun hat. Klartax ist ein Teil unserer umfassenderen Tax-Plattform-Strategie, bestehend aus der Klartax-App, der Suche nach einem steuerlichen Berater oder Beraterin über Datev SmartExperts und der Anwendung Datev Meine Steuern. So können wir Endkunden und -kundinnen ebenso wie den Datev-Mitgliedern einen durchgängigen digitalen Prozess zur Erstel-ung der Einkommensteuererklärung anbieten, vom einfachen bis zum komplexen Steuerfall.

Was bedeutet das konkret?
Gerade diese Integration von Klartax in unsere weiteren Lösungen ist eben auch der entscheidende Unterschied zu anderen Selbstdeklarationslösungen, die losgelöst sind von solchen Synergieentwicklungen. Deshalb legen wir auch in Zukunft den Fokus darauf, diese Aspekte, die Klartax vom Wettbewerb abheben, weiter als Alleinstellungsmerkmale auszubauen.

Machen Sie mit der App nicht vielen Steuerberatern als Ihrer wichtigsten Zielgruppe Konkurrenz?
Sobald der Steuerfall komplexer wird, bietet die App einen Absprungpunkt zu Datev Smart-Experts. Darüber kann dann der passende steuerliche Berater gefunden werden. Kommt ein Mandat zustande, erfolgt die weiterführende Zusammenarbeit über Datev Meine Steuern. Die Nutzerinnen und Nutzer sind somit in jeder Lebenssituation optimal steuerlich beraten.

Die Bundesregierung plant derzeit die Einführung eines einheitlichen Meldesystems für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen. Wie sehen Sie dieses Vorhaben?
Angesichts von erheblichen steuerlichen Mindereinnahmen durch Umsatzsteuerbetrug ist ein solches digitales System zu begrüßen. In anderen europäischen Ländern, etwa in Italien und Frankreich, ist man da schon deutlich weiter als wir in Deutschland. Außerdem kann der verpf lichtende Einstieg in die E-Rechnung maßgeblich zur Automatisierung der kaufmännischen Prozesse beitragen. Hier muss es auch Unterstützung für kleinere Unternehmen geben. Wir halten es unter anderem deshalb für sinnvoll, dass ein solches System auf bereits bestehenden Strukturen auf baut, um den Aufwand für die Wirtschaft gering zu halten. Und ich würde dringend empfehlen, hier das Wissen des steuerberatenden Berufsstands zu nutzen und ihn in die Ausgestaltung mit einzubeziehen.

Wie könnte das funktionieren?
In Deutschland gibt es zahlreiche Unternehmen, die bereits seit vielen Jahren auf durchgängige digitale Prozesse setzen und die E-Rechnung eingeführt haben. Diese Prozesse optimieren schon heute die Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Kunden. Hier gilt es, Synergien zu nutzen und auf diesen Erfahrungen aufbauend ein System für die Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung zu entwickeln. Das trifft vor allem auch auf die E-Rechnungsformate selbst zu. Die Standards ZUGFeRD und XRechnung erfüllen bereits heute die EU-Anforderungen an strukturierte Rechnungsdaten.

Wird es in der EU bald einheitliche Regeln für E-Rechnungen geben?
Bei der EU-Kommission werden Pläne für ein mittelfristig harmonisiertes System entwickelt – zumindest für grenzüberschreitende, innergemeinschaftliche Umsätze. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung sich hier zügig positioniert.

Zur Person
Robert Mayr (56) ist seit 2016 CEO der Datev eG. Als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer kennt er die Bedürfnisse seiner Kunden aus eigener Erfahrung. Der promovierte Betriebswirt startete seine Karriere bei der Treuhandanstalt Berlin, wechselte 1994 zur Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte und war ab 2002 Geschäftsführender Gesellschafter der Solidaris Revision in München. 2011 wurde er in den Vorstand der Datev berufen. Mayr ist in der 56-jährigen Geschichte des Nürnberger Softwarehauses und IT-Dienstleisters erst der dritte Vorstandsvorsitzende.

Zum Unternehmen
Datev ist mit 1,22 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2021 und rund 8400 Mitarbeitenden hinter SAP und Software AG Deutschlands drittgrößtes Softwarehaus. 2021 stieg die Zahl der Kunden um rund 66 000 auf 471 300. Der genossenschaftlich organisierte IT-Dienstleister ist auf Angebote für Steuerkanzleien und deren kollaborative Prozesse mit den meist mittelständischen Mandanten spezialisiert, hat bei Steuererkärungs-Apps aber auch Angebote für Privatpersonen, die bislang noch keinen Steuerberater haben.

Die XL-Version des Interviews ist in der Wochenzeitung €uro am Sonntag erschienen, hier als digitale Ausgabe erhältlich