Mit dem gehypten Chatbot ChatGPT im Rücken greift Microsoft die Vormachtstellung von Google an. Ein milliardenschweres Wettrennen hat begonnen.
Eine einzelne Antwort genügte, um beim Techriesen Alphabet auf einen Schlag rund 100 Milliarden Dollar an Börsenwert zu vernichten. Die Google-Mutter stellte einen Chatbot mit künstlicher Intelligenz vor. Bei einer Demonstration wurde dieser gefragt, was er einem Neunjährigen über die Entdeckungen des James-Webb-Weltraumteleskops erzählen könne. Als Antwort hatte der Chatbot parat, dass das Teleskop das erste war, welches Bilder von einem Planeten außerhalb des Sonnensystems der Erde aufgenommen habe. Blöd nur, dass dies inhaltlich so nicht zutrifft: Das europäische Very Large Telescope hatte dies bereits vorher, 2004, geschafft.
Der kleine Fehler bescherte der Aktie den größten Tagesverlust seit rund drei Monaten. Die nervöse Reaktion zeigt, welche Bedeutung künstliche Intelligenz (KI) mittlerweile auch für die Börsianer hat. Sie reagieren auf Fortschritte im Wettrennen der Techkonzerne.
Mit der Vorstellung des eigenen Chatbots Bard wollte Alphabet eine rasche Reaktion auf den Erfolg von ChatGPT bieten. Dabei handelt es sich um einen momentan populären Chatbot, entwickelt von OpenAI. Chatbots sind Anwendungen, die unter Einsatz künstlicher Intelligenz mit Menschen interagieren können. In früheren Entwicklungsstadien, zum Beispiel auf Webseiten, reagierten sie auf Eingaben der Nutzer oft mit standardisierten Antworten. Dank technologischer Fortschritte haben sich Chatbots erheblich weiterentwickelt und lernen immer neue Fähigkeiten.
Fortschrittliche Anwendungen wie ChatGPT zählen zu „generativer KI“. Diese Algorithmen können neue Inhalte wie Texte, Fotos oder Audioinhalte erzeugen. Die Abkürzung GPT steht dabei für „Generative Pre-trained Transformer“. Dabei wird der Chatbot mittels maschinellen Lernens darauf trainiert, Inhalte wie ein Mensch zu produzieren. Die Anwendung von OpenAI kann so unter anderem Fragen beantworten und dabei auf Wunsch auch einen humorvollen Unterton anschlagen oder in wenigen Sekunden ein Gedicht zu einem beliebigen Thema schreiben.
Microsoft wagt sich vor
Der Chatbot erlebte einen immensen Hype, erreichte innerhalb von fünf Tagen eine Million Nutzer. Facebook hatte dafür zehn Monate, Netflix rund dreieinhalb Jahre gebraucht. Auch Techriesen haben das Potenzial erkannt. Entwickler OpenAI konnte Microsoft als Partner gewinnen. Der Konzern aus Redmond investiert Milliarden und erhöht mit seinem Vorstoß den Druck auf die Rivalen.
Offener Angriff auf Google
Microsoft will die Fähigkeiten von Chatbots wie ChatGPT künftig in eigene Produkte wie die Suchmaschine Bing und den Webbrowser Edge integrieren. Damit bläst der Konzern aus Redmond zum Angriff auf Alphabet und macht daraus auch kein Geheimnis. Chef Satya Nadella sprach vom „ersten Tag eines neuen Wettrennens“.
Bislang verfügt Alphabet mit Google über den unangefochtenen Marktführer bei Websuchen. Daten von Statista zufolge lag dessen Marktanteil bei Desktop-Suchmaschinen zuletzt bei fast 85 Prozent. Mitbewerber Bing aus dem Hause Microsoft folgt mit knapp neun Prozent weit abgeschlagen. Doch das soll sich ändern. Die Dominanz von Google wird Microsoft zwar erst einmal nicht brechen können. Doch für jeden Prozentpunkt, den das Unternehmen auf dem Markt für Suchmaschinenwerbung hinzugewinnt, ergäben sich für das Werbegeschäft Umsatzchancen von zwei Milliarden Dollar, kalkuliert das Microsoft-Management.
Alphabet hat die Gefahr erkannt und wollte mit dem Konkurrenzprodukt Bard schnell kontern, offenbarte aber vor allem die Schwächen der neuen Technologie. Sundai Pichai, Chef von Google und Mutterkonzern Alphabet, erntete für die Präsentation von Bard auch Kopfschütteln in den eigenen Reihen. Mitarbeiter kritisierten diese als „überstürzt“ und „verpfuscht“.
Zukunftstrend steht am Anfang
Trotz des vermeintlichen Vorsprungs von Microsoft ist das Rennen längst nicht entschieden. Chatbots wie ChatGPT haben bisher noch keinen Zugang zum Internet. Sie lernen mit bestehenden Datensätzen. Bei ChatGPT reichen diese nur bis ins Jahr 2021.
Im Kampf gegen Google integriert Microsoft eine weiterentwickelte Version von ChatGPT in Bing. Diese hat nun Zugriff auf aktuelle Ereignisse und könnte so zum ernsthaften Google-Konkurrenten heranwachsen.
Dabei kommt das neue Bing mit ChatGPT auch nicht fehlerfrei daher. Berichte von Personen, die es vorab testen konnten, zeigen das Programm mitunter fast schon zu menschlich und mit Empfindungsvermögen. Auf eine fehlerhafte Information hingewiesen, soll das neue Bing widersprochen und gesagt haben: „Du warst ein schlechter Nutzer. Ich war ein guter Bing.“ An anderer Stelle bekundete die Anwendung ihre Liebe zum Benutzer. Da der Chatbot nicht auf längere Unterhaltungen ausgelegt scheint, hat Microsoft mittlerweile reagiert. Nutzer können nur noch fünf Fragen zu einem Thema stellen. Pro Tag gibt es ein Limit von 50 Anfragen.
Chancen für Ernie & Bard
Unabhängig von den kleineren Problemen ist eine alleinige Führungsrolle für Microsoft ohnehin unwahrscheinlich. Angesichts der Breite des Markts für generative KI erwarten beispielsweise Experten von Goldman Sachs keine „Winner-takes-it-all“-Dynamik. Stattdessen würden Plattformen großer Techkonzerne untereinander konkurrieren.
Entsprechend sehen Beobachter auch Alphabet trotz des holprigen Auftakts gut für den Wettlauf gerüstet. Nach Einschätzung der Citigroup verfügt Microsoft zwar über den Vorteil des „First-Mover“, Google habe jedoch die Werkzeuge, um schnell konkurrenzfähige Produkte auf den Markt zu bringen.
Doch auch abseits des Silicon Valley hat man den Trend längst erkannt. Aktien von Baidu, dem chinesischen Pendant zu Google, zogen an, nachdem das Unternehmen seinen Chatbot angekündigt hat. Im Englischen soll er Ernie Bot heißen. Die Entwicklung läuft schon länger, Baidu will seinen ChatGPT-Konkurrenten im März öffentlich einführen. Es bleibt also spannend.
An den Börsen decken sich Investoren bereits mit potenziellen Profiteuren des KI-Trends ein. Wie bei vorherigen Hype-Themen griffen Anleger zuletzt bei allem zu, was einen Bezug zu künstlicher Intelligenz hat. Das ist womöglich ein Grund dafür, dass die Papiere von Microsoft und Alphabet trotz der Probleme mit Bard seit Jahresbeginn nahezu gleichauf liegen. Bei den Techriesen bestehen neben der KI-Fantasie jedoch andere, etabliertere Geschäftsbereiche.
Anders sieht das bei spezialisierteren Unternehmen aus. Der Kurs von c3.ai, einem Anbieter von KI-Software, konnte sich seit Jahresbeginn beispielsweise etwa verdoppeln. Dabei steht künstliche Intelligenz wohl erst am Anfang der Entwicklung. Das Beispiel Alphabet hat jedoch verdeutlicht, wie stark Aktienkurse bereits auf Neuigkeiten beim Megatrend KI reagieren.
Investor-Info
Microsoft: Riese mit frischer Fantasie
Mit der milliardenschweren Beteiligung an ChatGPT hat der Konzern aus Redmond das Rennen eröffnet. Erobert die eigene Suchmaschine Bing künftig Marktanteile, dürfte dies dank lukrativem Werbegeschäft ordentlich Geld in die Kasse spülen. Inwieweit Microsoft letztendlich die Dominanz von Google attackieren kann, wird sich zeigen. Unabhängig davon ist der Techriese bei Software, Cloud und Gaming stark positioniert. Die Aktie bleibt für langfristige Anleger kaufenswert.
Alphabet: Verteidigen der Dominanz
Mit der neuen Version von Bing zielt Microsoft auf das Kerngeschäft von Alphabet. Werbung über die Suchmaschine Google bringt mehr als 75 Prozent der Erlöse. Entsprechend sollten der eigene Chatbot zügig verbessert und neue KI-Features in Dienste integriert werden. Googles Dominanz scheint noch nicht in Gefahr. Anleger sollten aber im Auge behalten, inwieweit Bing Marktanteile von Google erobern kann. Die Aktie hat Kurspotenzial.
Künstliche Intelligenz Index: Die geballte Intelligenz für's Depot
Die Redaktion von BÖRSE ONLINE macht das Trendthema künstliche Intelligenz einfach investierbar. Dafür wurde ein Index aus 20 gleichgewichteten Werten zusammengestellt. Mit einem Zertifikat (WKN: DA0 ABV) können Anleger diversifiziert in den BO-KI-Index investieren. Neben etablierten Techriesen wie Microsoft, Alphabet oder Amazon finden sich darin auch weniger bekannte Vertreter wie c3.ai, Ambarella oder UiPath. Darüber hinaus sind Halbleiterwerte wie Nvidia und AMD vertreten, deren leistungsstarke Hardware in KI-Anwendungen zum Einsatz kommt. Weitere Informationen sowie eine Liste aller Indexmitglieder finden Sie hier.
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