Er darf BMW ins zweite Jahrhundert der Firmengeschichte führen, doch muss sich der seit Mai 2015 amtierende Unternehmenslenker Harald Krüger vor allem an der erfolgreichen Ära seines Vorgängers Norbert Reithofer messen lassen. Keine einfache Aufgabe: Seit 2005 ist BMW die Nummer 1 unter den deutschen Premiumherstellern. Aber das könnte sich ändern. Nach Prognosen der Marktforscher von IHS Automotive soll Daimler die Bayern bis Ende des Jahres überholt haben. In den ersten zwei Monaten hat Mercedes-Benz bereits mehr Fahrzeuge abgesetzt als die Kernmarke BMW.

Die Münchner werden jedoch nicht ohne Weiteres vom Gas gehen und präsentieren mit dem Programm "Number one next" eine Verteidigungsstrategie, die auf eine gute Ausgangsposition aufbaut. Denn BMW steht nicht nur für "Freude am Fahren", sondern auch für Nachhaltigkeit und einen der effizientesten Produktionsprozesse der Branche. Dass dieser Mix funktioniert, zeigen die Zahlen des abgelaufenen Jahres. Begünstigt von Währungseffekten stieg der Umsatz um 14,6 Prozent auf 92,2 Milliarden Euro. Das Konzernergebnis vor Steuern erreichte die neue Bestmarke von 9,2 Milliarden Euro (2014: 8,7 Milliarden). Allerdings sank die Marge. Aktionäre können sich dennoch auf eine Ausschüttung von erstmals mehr als zwei Milliarden Euro freuen. Die Dividende steigt um 30 Cent auf 3,20 Euro je Stamm- und 3,22 Euro je Vorzugsaktie.

Auch wenn es bislang rund läuft, prognostiziert Krüger fürs laufende Jahr nur ein moderates Absatzplus. Als Begründung führt er die weltweit unsichere Konjunkturlage an. Ob es so kommt oder man sich nur dem bajuwarischen Naturell entsprechend konservativ für den Worst Case wappnet, werden die nächsten Monate zeigen müssen. Bisher besteht kein Grund zur Unzufriedenheit. Denn unter Einbeziehung der Konzernmarken Mini und Rolls-Royce sind die Kräfteverhältnisse noch die alten.

In den ersten beiden Monaten verzeichnete das Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr ein Absatzplus von 7,7 Prozent und lieferte knapp 317.000 Fahrzeuge aus. Der Stuttgarter Erzrivale brachte es hingegen nur auf 304.000 Pkw der Marken Mercedes-Benz und Smart. So einfach fügt sich Krüger deshalb nicht in das Schicksal, das die IHS-Marktprognose ankündigt: "Abgerechnet wird am Ende des Jahres", gibt er sich kämpferisch. Um trotz der globalen Unbill in den nächsten Jahren weiter gute Zahlen vorlegen zu können, schreibt die neue Strategie folgende Leitlinien vor:

- Marke und Design sollen durch den Ausbau renditeträchtiger Segmente wie der Luxusklasse gestärkt werden. Klar ist, dass ein neues Oberklassefahrzeug kommt. Ob das ein 6er oder 8er wird, lässt der Vorstand indes offen.

- Die Motorsportedeltochter M wird ihr Angebot erhöhen, um den Daimler-Haustuner AMG im Highendsegment wieder auf den zweiten Platz zu verweisen.

- Die Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie wird konsequent weiterentwickelt. "Denn das Unternehmen geht davon aus, dass künftig verschiedene alternative Antriebsformen nebeneinander existieren werden", sagt Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich. Avisiert sind unter anderem der Ausbau der i-Modellpalette (beispielsweise mit einem i8 Roadster) und die Steigerung der Reichweite des i3 um 50 Prozent.

- Zero Emission und Digitalisierung genießen im strategischen Fahrplan Priorität, um die Dynamik neuer Wettbewerber von außerhalb der Branche wie Apple oder Alphabet in Schach zu halten. Die Digitalisierung wird unter anderem gestärkt durch die Berufung des ehemaligen Google-Managers Jens Monsees als Verantwortlichen. Auch die Servicequalität wird ausgebaut und als Kerngeschäftsfeld definiert.

- Weitere Standardisierung und modulare Baukästen sollen die Umsatzrendite auf bis zu zehn Prozent erhöhen. Neue Fertigungsanlagen, bessere Logistik und der zunehmende Einsatz von noch effizienteren Produktiontechnologien (Stichwort: Industrie 4.0) sollen Kosten sparen. Einsparungen soll auch die Straffung der Mini-Modellpalette bringen. "Investitionen sollen aus eigener Kraft gesteigert werden", sagt Finanzvorstand Friedrich Eichiner.

Auf Seite 2: Vision Next 100





Wie es auf lange Sicht weitergehen soll, zeigte der Premiumhersteller mit dem Zukunftsmodell Vision Next 100 anlässlich der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen des Unternehmens. Mit dem "Future-Mobil" reklamiert BMW die Technologieführerschaft für sich: Die Vokabeln für die Innovationen im Fahrzeug sind so neu wie die Funktionen. Der Selbstfahrer heißt nach BMW-Vorstellungen künftig "Ultimate Driver". Die Interaktion zwischen Fahrer und Auto nennt man "Alive Geometry", pilotiertes Fahren heißt "Ease".



Lenkrad? Zu altmodisch. Das wird abgelöst von einer Art Joystick. Dass das smarte Büro auf vier Rädern emissionsfrei ist, versteht sich von selbst. Vorstandschef Krüger erwartet, dass die Vision in 20 bis 30 Jahren serientauglich ist. Bis dahin will er mit einem profitablen Mix moderner Antriebsversionen die Top-Position gegen Daimler und Audi verteidigen.

Das zeugt vom Selbstbewusstsein des 1916 gegründeten Unternehmens. Nach einigen Startproblemen schrieben die Münchner eine beispiellose Erfolgsgeschichte, sie haben 30 Werke rund um den Globus und scheuen sich nicht, automobile Grenzen zu überschreiten. Im Rahmen der Entwicklung von i3 und i8 wurden nicht nur (teil-)elektrische Antriebe entwickelt, sondern auch Mobilitätsdienste wie das Carsharing-Modell Drive Now.

Ob diese Investitionen jemals dauerhafte Erträge abwerfen werden, ist offen. In puncto Image haben sie sich allerdings ausgezahlt. BMW gilt mittlerweile als der nachhaltigste der traditionellen Autobauer. Die durch das i-Projekt erworbene Kompetenz hilft außerdem, die Plug-in-Hybridtechnologie in alle Konzernmarken zu implementieren, um die vorgeschriebenen CO2-Grenzen zu erreichen.

Der Schachzug würde sich in klingender Münze auszahlen, wenn BMW mit den i-Modellen am E-Boom in China partizipieren könnte. Nach Angaben des Car Center Automotive Research der Uni Duisburg-Essen wurden 2015 in China dreimal so viele Elektroautos verkauft wie im Jahr zuvor. "Mit einem Absatz von 188 000 Einheiten setzte sich China vor den USA (115 000) an die Spitze", sagt Stefan Bratzel, Leiter der Studie. Als bislang einziges Importmodell hat es der BMW i3 auf die Liste der steuerbefreiten Nullemission-Autos in China geschafft. Das könnte zum Verkaufskick für den Stromer werden.

Ein Projekt wie BMW i kann sich das Unternehmen nur leisten, da die Großaktionäre Rückendeckung geben. Die Familie Quandt (46,7 Prozent) fordert und fördert den Forschergeist nicht nur im Aufsichtsrat, sondern auch in universitären Engagements wie Lehrstühlen und Start-up-Garagen oder Thinktanks wie dem Kompetenzzentrum Urbane Mobilität, das über eine Zukunft ohne Auto nachdenkt - zumindest ohne eigenes. Sicher ist das nicht uneigennützig - es stärkt die Anziehungskraft von BMW als Arbeitgeber für hochbegabte Fachkräfte und erfinderische Talente.

Das ist essenziell, denn die Branche steht vor einem Wandel, der die Fundamente des traditionellen Automobilbaus erschüttert. Techgiganten wie Apple fordern die Platzhirsche heraus; junge, wendige Anbieter wie Tesla buhlen mit um die zahlungskräftige Kundschaft; gesellschaftliche Veränderungen und disruptive Technologien erfordern neue Konzepte.

Niemand weiß, wer das überlebt und wie der Konzern zu seinem 200-Jahre-Jubiläum aussehen wird. Die Redaktion von BÖRSE ONLINE geht aber davon aus, dass BMW zumindest noch in den nächsten 20 bis 30 Jahren technologisch fortschrittliche Autos bauen wird. Auf diesen Anlagehorizont gerechnet dürfte die Aktie ihren Besitzern einiges an Freude bereiten - auch wenn gelegentliche Kurseinbrüche durch konjunkturelle Verwerfungen nie auszuschließen sind.

Auf Seite 3: BMW auf einen Blick









Auf Seite 4: BMW-Chef Harald Krüger im Interview





"Kein anonymes Transportmittel"



BMW-Unternehmenslenker Harald Krüger über autonomes Fahren, Elektromobilität, flexible Produktionsprozesse, die Vision für die nächsten 100 Jahre, die Aussichten in China und Rekorddividenden.

Seit Mai 2015 ist Harald Krüger (50) Vorstandschef von BMW. Der diplomierte Maschinenbauingenieur ist ein Eigengewächs. 1992 begann er als Trainee und sammelte später Erfahrung im US-Werk Spartanburg sowie in der Motorenproduktion im britischen Hams Hall. Ende 2008 wurde er in den Vorstand berufen. Zunächst verantwortete er das Ressort Personal- und Sozialwesen, ab 2012 die Marken Mini und Rolls-Royce sowie die Motorradsparte.

Börse Online: Herr Krüger, zur Jubiläumsauftaktveranstaltung haben Sie auf der Bühne eine Vision präsentiert. Diese soll nach Ihren Aussagen in 20 bis 30 Jahren auf der Straße sein. Warum erst dann?


Harald Krüger: Wir haben unser Jubiläum ganz bewusst unter das Motto "The next 100 years" gestellt, um einen Ausblick auf die Zukunft der Mobilität zu geben. Den Blick gleich 100 Jahre in die Zukunft zu richten, wäre wohl vermessen gewesen - aber eine Vision für die Mobilitätswelt in rund einem Vierteljahrhundert trauen wir uns zu und haben sie in Form unseres BMW Vision Next 100 auf die Bühne gebracht.

Bei allen Vorteilen des autonomen Fahrens - ist das nicht eine Gefahr für hochpreisige Marken wie BMW? Letztlich hat das doch ein wenig die Anmutung von öffentlichem Transportwesen ...


Schauen Sie sich unser Visionsfahrzeug an: Dort steigt der Fahrer eben nicht in ein anonymes Transportmittel ein, sondern in ein sehr persönliches Fahrzeug, das komplett auf ihn ausgerichtet ist. Auch in einer Welt des hochautomatisierten Fahrens steht der Fahrer für die BMW Group im Mittelpunkt und entscheidet, ob er mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz selbst fahren oder gefahren werden möchte.

In China zog im vergangenen Jahr der Absatz von E-Autos gewaltig an. Auch wenn Sie bei der Akzeptanz der Elektromobilität von einem Marathon sprechen - wird Ihrer Meinung nach China dem i3 zum Durchbruch verhelfen?


China ist ein Beispiel dafür, dass der Erfolg der Elektromobilität auch von den Rahmenbedingungen abhängt - also finanziellen Anreizen, staatlicher Förderung und Ladeinfrastruktur. Diesen Zusammenhang sehen wir auch in europäischen Ländern oder beispielsweise im US-Bundesstaat Kalifornien, wo der BMW i3 im Übrigen ausgesprochen erfolgreich ist.

Wenn wir schon in Kalifornien sind - würde es sich da nicht anbieten, auch gleich mit den neuen Playern im Silicon Valley wie Apple oder Google zu kooperieren?


Wenn es um den Automobilbau geht, verfügen wir über Kompetenz und Erfahrung, an die keiner der neuen Wettbewerber heranreicht. Und im Bereich Forschung und Entwicklung wandelt die BMW Group sich vom Mechanical Engineering hin zur Tech Company. Mit unserer Strategie "Number One Next" richten wir uns dort konsequent an den beiden wesentlichen Zukunftsfeldern Digitalisierung und Antriebstechnologien der Zukunft aus.

Wir erleben ja gerade die vierte Revolution, die Sie mit Verve in den bisherigen Ablauf einbauen. Vorstellbar ist bereits, dass das Band durch eine Produktionsinsel ersetzt wird. Das heißt im Endeffekt, jede Fertigung kann jedes Auto produzieren. Werden wir in fünf Jahren so weit sein, dass ich als Käufer sagen kann: Ich hätte gern den 3er in Blau mit Ledersitzen und mit folgender Ausstattung … und ich bekomme dann das Fahrzeug eine Woche nach Eingang der Zahlung?


Wir sind heute schon so flexibel, dass wir die individuellen Wünsche unserer Kunden auch kurzfristig erfüllen können. So können unsere Kunden bis sechs Tage vor Montagestart noch Änderungswünsche beim Händler äußern, die wir dann im Werk berücksichtigen.

Kommen wir zur aktuellen Geschäftslage. BMW stand ja 2015 noch an der Spitze der deutschen Premiumanbieter. Mit welchen Modellen wollen Sie in diesem Jahr Ihre Führungsposition halten?


Die BMW Group geht davon aus, auch in diesem Jahr der führende Anbieter von Premiumprodukten und -dienstleistungen für die individuelle Mobilität zu bleiben. Wir haben Ende 2015 unseren neuen BMW 7er auf den Markt gebracht, gleichzeitig ist der neue BMW X1 gestartet. Bei Mini stößt der neue Clubman in die Kompaktklasse vor und erschließt damit neue Kundengruppen. Außerdem stehen unsere Bestseller BMW 3er/4er sowie der BMW 5er nach wie vor an der Spitze ihrer jeweiligen Segmente.

Wie reagieren Sie auf die Unsicherheit in Ihrem zweitgrößten Markt China?


Wir bleiben trotz der Normalisierung der konjunkturellen Lage vom großen Potenzial des chinesischen Marktes überzeugt und rechnen für 2016 mit einem weiteren Wachstum unserer dortigen Auslieferungen. Speziell von unserem neuen BMW 7er und der neuen Generation des BMW X1 erwarten wir positive Impulse. Im Januar haben wir außerdem das neue Motorenwerk unseres Joint Venture BMW Brilliance Automotive in Shenyang eröffnet. Und wir erhöhen die Zahl unserer lokal produzierten Modelle in den kommenden Jahren von drei auf sechs.

Thema TTIP: Wäre ein Zustandekommen des Freihandelsabkommens für BMW wichtig und - falls ja - warum?


Als global agierendes Unternehmen befürwortet die BMW Group die weitere Öffnung von weltweiten Märkten sowie den sukzessiven Abbau von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen. Wir fertigen Fahrzeuge weltweit und nutzen den globalen Einkaufsmarkt. Die starke Exportorientierung erfordert freien Zugang zu Drittmärkten und offene Handelswege. Die BMW Group unterstützt daher die Handelsliberalisierung und den Freihandel auf globaler Ebene.

Im Mai ist Hauptversammlung. Werden Sie bei Ihrem ersten Auftritt als Vorstandsvorsitzender die Aktionäre auf weniger gute Zeiten einschwören müssen?


Die BMW Group hat 2015 ihr sechstes Rekordjahr in Folge abgeschlossen. Und für 2016 haben wir uns weitere leichte Zuwächse bei den Auslieferungen und dem Ergebnis vor Steuern vorgenommen - vorausgesetzt, die weltweiten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen verändern sich nicht wesentlich.

Vorausgesetzt, sie ändern sich aber - das Sprichwort sagt: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Ist es vor diesem Hintergrund vertretbar, die Dividende so deutlich zu erhöhen?


Wie auch in den vergangenen Jahren beteiligen wir unsere Anleger am Erfolg des Unternehmens. Vorstand und Aufsichtsrat schlagen der Hauptversammlung eine Rekorddividende vor, die zehn Prozent über dem Vorjahr liegt. Aber auch unsere Tarifmitarbeiter am Standort Deutschland profitieren: Ihnen zahlen wir in unserem Jubiläums- jahr die höchste Erfolgsbeteiligung im Wettbewerbsvergleich. Sie haben ja erst im vergangenen Jahr das Ruder übernommen, mussten aber anlässlich des Jubiläums schon sehr weit in die Zukunft blicken.

Spielen wir das Spiel doch ein bisschen weiter: Was ist am Ende Ihr persönliches Ziel, sprich: Wo soll BMW stehen, wenn Ihr Nachfolger kommt?


Meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger sollte stolz sein auf die mutigen Veränderungen, welche die BMW Group immer wieder zum Erfolg geführt haben. Und ich möchte, dass unsere Kunden dann nach wie vor sagen: Dieses Unternehmen und seine Marken begeistern mich. Die BMW Group versteht mich, bietet mir tolle Produkte, einen perfekten Service und überrascht mich immer wieder positiv.

Also immer schön political correct im Sinne des Brötchengebers. Gilt das auch für das Auto in Ihrer privaten Garage?


Selbstverständlich. Ich fahre unseren neuen BMW 7er und für Stadtfahrten nehme ich unseren BMW i3.