Seit über einem halben Jahrhundert steht der Marlboro Mann für Freiheit und Abenteuer. Der Schauspieler Eric Lawson, der schon im Teenageralter zur Zigarette griff, war einer derjenigen, die den rauchenden Cowboy aus dem Wilden Westen verkörperten. Im Januar starb Lawson im Alter von 72 Jahren - an einer Lungenerkrankung. Sein Schicksal ist kein Einzelfall. Rund sechs Millionen Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen des blauen Dunstes. Lungenkrebs, Herzinfarkt oder Schlaganfall - viele Raucher bezahlen ihre Sucht mit dem Leben.
In den Industriestaaten ist der Glimmstängel ein Auslaufmodell. Wachsendes Gesundheitsbewusstsein, Rauchverbote, Werbeverbote, Schockbilder und hohe Steuern vermiesen den Tabakkonzernen das Geschäft. Bis zum Jahr 2050 könnten herkömmliche Tabakprodukte laut einer Studie der Citigroup in wichtigen Absatzmärkten ganz verschwunden sein. Sorgen um ihre Milliardenprofite müssen sich die Tabakkonzerne aber kaum machen. Das neue Zugpferd der Branche ist die E-Zigarette.
Die elektronische Variante der traditionellen Glimmstängel besteht aus drei Komponenten: einem Akku, einem elektrisch betriebenen Verdampfer und einer Kartusche mit einer Flüssigkeit, die neben verschiedenen Aromen meistens auch Nikotin enthält. Ein kleines LED-Lämpchen simuliert sogar die Glut.
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Ohne Teer, Blausäure und Arsen
Zieht man am Mundstück, verdampft die aromatisierte Nikotinlösung. Der Dampf riecht kaum und brennt nicht in den Augen. Die bei der Tabakverbrennung freigesetzten Schadstoffe wie Teer, Blausäure oder Arsen entfallen. Unumstritten ist die E-Zigarette aber nicht. Langzeitstudien zu den Inhaltsstoffen liegen kaum vor, in einigen Proben wurden zudem neben krebserregenden Substanzen etwa Potenzmittel oder Appetitzügler gefunden. Auch Nikotin selbst ist ein starkes Gift.
Doch trotz aller Bedenken ist die E-Zigarette auf dem Vormarsch. In diesem Jahr wird sich das weltweite Umsatzvolumen mit den elektronischen Glimmstängeln auf über fünf Milliarden Euro mehr als verdoppeln, schätzen die Marktforscher von Euromonitor. "Die E-Zigarette könnte die herkömmliche Zigarette innerhalb des nächsten Jahrzehnts ablösen", sagt Bonnie Herzog, Tabak- Analystin bei der US-Bank Wells Fargo. Die US-Investmentbank Goldman Sachs zählt die E-Zigarette sogar zu den acht wichtigsten Anlagethemen der kommenden Jahre.
Mit herkömmlichen Tabakprodukten setzt die Branche außerhalb Chinas - hier besteht ein staatliches Tabakmonopol - jährlich mehr als 500 Milliarden Euro um. Im Vergleich dazu ist der Markt mit den EZigaretten noch winzig. Mit den traditionellen Kippen sind aber allenfalls in den Schwellenländern noch Zuwachsraten zu erzielen. In vielen entwickelten Ländern sinkt die Zahl der Raucher Jahr für Jahr.
Hinter den Kulissen der Tabakbranche tobt daher ein erbitterter Kampf um die Vormachtstellung im E-Rauch. Der Hauptschauplatz der Auseinandersetzung liegt mitten in Europa. In den Ländern der EU leben schließlich rund 140 Millionen Raucher - dreimal so viele wie in den Vereinigten Staaten.
Mitte Mai trat in der EU eine Richtlinie in Kraft, die E-Zigaretten als Tabakprodukt einstuft. Innerhalb der nächsten zwei Jahre müssen die EU-Mitgliedstaaten die Gesetzgebung in nationales Recht umsetzen. Spätestens dann gelten für die elektronischen Dampfer dieselben strengen Werbeauflagen wie für herkömmliche Zigaretten.
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Tabakriesen auf Einkaufstour
Bis dahin nutzen die Zigarettenhersteller die Gunst der Stunde, um sich zu positionieren und die Konkurrenz abzuhängen. Der drittgrößte US-Tabakkonzern Lorillard etwa ließ sich die US-Marke Blu und den britischen Hersteller von E-Zigaretten Skycig zusammen etwa 140 Millionen Euro kosten. British American Tobacco (BAT) schluckte den britischen E-Zigarettenproduzenten CN Creative. Vor wenigen Monaten erst startete BAT in Großbritannien nach über 20 Jahren TV-Abstinenz eine groß angelegte, durch Printanzeigen unterstützte Fernsehkampagne für seine E-Zigaretten. Die Behörden schoben dem Treiben erst vor wenigen Tagen einen Riegel vor.
Statt auf Zukäufe setzt Alison Cooper in Cowboy-Manier auf Konfrontation. Dem Chef des britischen Tabakmultis Imperial Tobacco dürften vor allem die unzähligen kleinen Anbieter im Markt ein Dorn im Auge sein. Vor wenigen Monaten zahlten die Briten dem Chinesen Hon Lik rund 50 Millionen Euro für dessen Patente. Der Apotheker gilt als Erfinder der E-Zigarette und arbeitet nun selbst für den Zigarettenkonzern. Mit Liks Patenten in der Hand zankt sich Cooper inzwischen mit rund einem Dutzend Konkurrenten vor diversen Gerichten.
In den USA haben die Hersteller elektrischer Zigaretten weitgehend freie Bahn. In dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten dürfen die Produkte in allen Medien beworben werden. Die Gesundheitsbehörde FDA ordnete lediglich einige Verkaufsbeschränkungen und Warnhinweise an.
Unverhohlen buhlen die Hersteller in der Heimat des Marlboro Man um die Gunst der Kunden. Mit dem Slogan "Nimm dir deine Freiheit zurück" wirbt etwa der Schauspieler Stephen Dorff, der in der Marvel-Comicverfilmung "Blade" den Bösewicht spielt, für die Marke Blu. Die E-Zigarette von Lorillard ist in den USA führend.
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Ein Cowboy-Coup muss her
Gelingt einem Hersteller ein Coup wie Philip Morris vor einem halben Jahrhundert mit dem Marlboro Man, winken Milliardengewinne. In den ersten Monaten der Werbekampagne mit dem rauchenden Cowboy stiegen die Marlboro-Verkaufszahlen damals um das Zigfache.
Marlboro ist seit Jahrzehnten die meistverkaufte Zigarettenmarke der Welt - und der Marlboro Man für Philip Morris und den ehemaligen Mutterkonzern Altria noch immer der Garant für sprudelnde Gewinne.
Das Rennen um die E-Zigarette ist indes noch längst nicht entschieden. So kündigte Andre Calantzopoulos, Chef des Tabakmultis Philip Morris, nach langem Zögern an, auch in den hart umkämpften Markt einzusteigen. Ein Fan der E-Zigarette ist Calantzopoulos, der seit über drei Jahrzehnten selbst am Glimmstängel hängt, aber nicht. Eigene Produkte will der gebürtige Grieche nicht entwickeln. Der 57-Jährige setzt stattdessen auf eine Vertriebsvereinbarung mit Altria. Die Amerikaner, die die Marke Marlboro in den USA vertreiben, verstärkten ihr eigenes Geschäft mit den Stromstängeln jüngst mit der Marke Green Smoke. Altria- Chef Martin Barrington nahm dazu 80 Millionen Euro in die Hand.
Statt auf der vorgegebenen Strecke reitet der oberste Cowboy Calantzopoulos lieber auf seinen eigenen Wegen. Der Marlboro-Chef setzt auf das Prinzip "Hitze statt Feuer": Im kommenden Jahr will der Konzern ein Gerät auf den Markt bringen, das den Tabak auf rund 200 Grad erhitzt. Die bei der Verbrennung des Krauts entstehenden Giftstoffe werden deutlich minimiert. Philip Morris investiert dazu 500 Millionen Euro in ein Werk nahe Bologna in Italien.
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Neuer Kick ohne Kippe
Der Tabakdampfer ist nicht das einzige Ass im Ärmel von Calantzopoulos. Vor drei Jahren kaufte Philip Morris ein Patent von Jed Rose, dem Direktor des Zentrums für Raucherentwöhnung an der Duke Universität in North Carolina. Roses Idee: Mithilfe einer chemischen Reaktion wird ein Nikotin- Aerosol freigesetzt. Der Kick soll dem einer echten Zigarette gleichen.
Philip Morris kündigte damals an, in drei bis fünf Jahren ein Produkt zur Marktreife zu bringen. Calantzopoulos kann seinem Marlboro- Ross jederzeit die Sporen geben - genau wie die Cowboys damals im Wilden Westen.
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