Das Landgericht München hat zwei Klauseln des Gesundheitsprogramms "Vitality" für unwirksam erklärt. Allerdings ist das Urteil gegen eine Tochter des Versicherers Generali noch nicht rechtskräftig. Von Martin Reim
Vor knapp sechs Jahren räumte Generali richtig ab. Ihr neues Produkt erhielt eine Auszeichnung und eine Menge Aufmerksamkeit. Es waren jedoch Schlagzeilen, auf die der Konzern wohl lieber verzichtet hätte: Der Verein Digitalcourage verlieh der Big Brother Award, Verbraucherschützer warnten, die Schriftstellerin Juli Zeh (seit kurzem Verfassungsrichterin in Brandenburg) sah "totalitäre Strukturen" heraufziehen.
Anschließend führte Generali mit großem medialem Aufwand die sogenannten Vitality-Tarife ein. Deren Prinzip war zumindest damals einmalig in Deutschland: Kunden erhalten Rabatte und Prämien bei kooperierenden Unternehmen, wenn sie gesund leben - und dieses Verhalten nachweisen, indem sie sich selbst überwachen und die Daten in eine App einpflegen. Auf Wochen der Aufregung führten Jahre der Ruhe. Die grundsätzlichen Bedenken sind nicht verschwunden, aber die Kritik ist weitgehend verstummt. Doch seit kurzem hat sich geändert.
Wie die Verbraucherschutzorganisation Bund der Versicherten (BdV) jetzt mitteilte, hat das Landgericht München I Ende Januar zwei Vertragsklauseln für unwirksam erklärt (Az. 12 8721/20). Geklagt hatte der BdV gegen die Generali-Tochter Dialog Lebensversicherung. Vorwurf: Kunden des Tarifs "SBU-professional Vitality" würden mit intransparenten und unfairen Bedingungen in die Irre geführt. Wer die Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen will, muss zusätzlich zu den eigentlichen Kosten fünf Euro pro Monat für das Vitality-Programm bezahlen.
Anschließend kann man "gesundheitsbewusstes Verhalten" nachweisen und sich von Bronze über Silber und Gold bis zum Platin-Status hochtrainieren. Es winken reduzierte Beiträge und Prämien wie Amazon-Gutscheine oder vergünstigte Fitness-Tracker des Smartwatch-Herstellers Garmin - mit denen sich dann noch besser Gesundheitsdaten sammeln lassen.
"Gesund leben und dafür belohnt werden", bewirbt Generali das Prinzip. Der BdV hält die Umsetzung aber für rechtswidrig. "Die Verbraucher erfahren zwar, dass gesundheitsrelevantes Verhalten den Beitrag verändern kann, nicht aber, an welchen Parametern dies bemessen wird", sagte Vorstandssprecher Axel Kleinlein der "Süddeutschen Zeitung".
Kunden könnten weder vorher absehen noch nachträglich überprüfen, wie und warum sie mehr oder weniger für die Versicherung zahlen müssen. "An keiner Stelle des Vertragswerks sind hierfür klare und verständliche beziehungsweise genaue und nachvollziehbare Kriterien festgelegt", kritisiert der BdV. Auch deshalb vergleichen die Verbraucherschützer den Tarif mit der sprichwörtlichen Katze im Sack, bei der man nicht weiß, was man bekommt. "Beim Vitality-Programm kann es aber sogar sein, dass nicht einmal eine Katze im Sack ist", sagte Kleinlein der "Süddeutschen Zeitung" weiter.
Das Landgericht München I folgte nach Darstellung des BdV dieser Argumentation. Ein Generali-Sprecher bestätigte gegenüber boerse-online.de die Existenz des Urteils und sagte, man habe bereits Berufung beim Oberlandesgericht München eingereicht. Der Konzern arbeite "ständig an der Verbesserung und der Transparenz" seiner Produkte. "Dabei werden wir auch die Bedenken des Gerichts in unsere Überlegung einbeziehen", erklärte der Sprecher weiter.
Generali bietet Vitality seit 2015 an. Das System wurde vom südafrikanischen Versicherer Discovery entwickelt, die das System in Lizenz abgibt. In Kontinentaleuropa hat sich Generali die Nutzung gesichert. Nach Zahlen von 2020 hat Vitality weltweit 16 Millionen Nutzer. Wieviele es in Deutschland sind, gibt Generali nicht bekannt und spricht lediglich von "tausenden Kunden, die Vitality täglich nutzen".