Im Mai habe ich in der Kolumne "Wall Street macht in Bitcoin-Technologie" geschrieben, dass die hinter Bitcoin stehende Blockchain-Technologie die Finanzbranche elektrisiert. Diese offene Technologie ist bekannt geworden durch die Kryptowährung Bitcoin, was manche offenbar davon abhält, sich weiter damit zu beschäftigen. Ein großer Fehler. Die Technologie hilft nämlich in modifizierter Form über kryptografische Verfahren, digitale Dokumente und Transaktionen zu verifizieren und eindeutig einer bestimmten Person oder Institution zuzuordnen. Und dafür gibt es ein breites Anwendungsspektrum, vor allem in der traditionellen Finanzwelt.
Die Blockchain-Technologie (manche schreiben Block-Chain) gilt als Architektur für die Übertragung digitaler Güter, denen eindeutige Eigentumsrechte zugeordnet werden müssen. Hinter der Technologie stecken bisher als sicher geltende kryptografische Verfahren, die mit öffentlichen und privaten Schlüsseln arbeiten. Wird ein digitales Gut an die Adresse eines anderen Nutzers übertragen, signiert der Absender die Nachricht mit seinem privaten Schlüssel. Die Nachricht wird in ein peer-to-peer-Netzwerk gesendet. Hier wird die Transaktion validiert und der Betrag bestätigt (bei Bitcoin ist das der sogenannte Mining-Prozess).
Die Verifikation einer Transaktion findet dabei dezentral und durch verteilte Instanzen über andere Internetnutzer (die sogenannten Miner) statt. Sie lösen dazu mathematische Aufgaben. Ist eine Transaktion erfolgreich bestätigt, wird sie zum Abschluss in einem Block zusammengefasst und in der Blockchain hinterlegt. Jeder Block enthält Datum, Uhrzeit, eine Zufallszahl, Referenzen auf die enthaltenen Transaktionen und den Hash des vorhergehenden Blocks. Technisch ist die Blockchain eine riesige Textdatei, die eine Kette von aufeinander aufbauenden Blöcken enthält, mit denen alle Transaktionen eines speziellen digitalen Guts nachvollzogen werden können. Manche vergleichen diese Log-Datei mit dem Hauptbuch in der Finanzbuchhaltung.
Verschiedene Sicherheitsmechanismen sorgen dafür, dass ein digitales Gut nicht zwei Mal übertragen werden kann. Zentraler Baustein dieser Technologie, so erklären Christoph Sorge und Artus Krohn in einem Arbeitspapier der Uni Paderborn, "sind (kryptographische) Hashfunktionen. Wesentliche Eigenschaft solcher Funktionen ist, dass es nicht effizient möglich sein darf, aus deren Ausgabe (dem Hashwert) auf einen dazu passenden Eingabewert zurückzuschließen. Ebenso wenig soll es möglich sein, zwei beliebige Eingabewerte zu finden, die auf den gleichen Hashwert abgebildet werden."
Auf Seite 2: Großbanken interessieren sich für die Technologie
Längst ist bekannt, dass sich viele große Banken für diese Technologie interessieren. Dabei spielt die Kryptowährung Bitcoin, die ein spezieller Anwendungsfall ist, nur eine untergeordnete Rolle. Mit der gleichen bzw. leicht modifizierten Technologie kann ebenfalls der Besitz anderer, digitaler oder digitalisierbarer Güter dargestellt werden. Eine Blockchain kann daher als dezentrales Transaktionsregister für verschiedenste digitale Güter verwendet werden, bei denen der rechtssichere Nachweis des Eigentums entscheidend ist. Und das gehört zum Kern der Geschäftsabwicklung von Banken.
Ein solches digitales Gut könnt zum Beispiel ein Schuldschein, Anleihe oder eine Aktie sein. Auch wenn wir Anleihen im Depot nur als Buchungsposten sehen, steckt dahinter letztlich eine Urkunde, die irgendwo verwahrt wird. Schon lange werden die Wertpapiere einer Emission in einer Sammelurkunde verbrieft, die bei einem sogenannten Sammelverwahrer liegt. Die Übertragung erfolgt durch Depotbuchungen über eingeschaltete Banken, die wiederum ein Konto bei dem Sammelverwahrer haben. Dieser Prozess ist aufwendig, weil bei der Übertragung eines Wertpapiers mindestens 5 Parteien beteiligt sind, nämlich Käufer, Verkäufer, ihre jeweiligen Banken und der Verwahrer. Würde man die Blockchain-Technologie verwenden, gäbe es genau zwei Buchungen. Eine Ausbuchung des Wertpapiers beim Verkäufer, die Einbuchung beim Käufer, verzeichnet lediglich in der Blockchain.
Auf Seite 3: Erste öffentliche Transaktion
Die erste per Blockchain-Technologie bekannt gewordene öffentliche Transaktion hat gerade der börsennotierte Online-Händler Overstock.com abgewickelt. Overstock hat lt. Heise.de bei der US-Börsenaufsicht SEC die Emission von Aktien "auf einem kryptografisch gesicherten verteilten Register-System" angemeldet und zunächst die Transaktion mit einer Anleihe über ein Volumen von 25 Millionen Dollar getestet. Die Anleihe soll bei fünf Anleger platziert worden sein. Nun ist eine weitere Anleihe mit einem Volumen bis 200 Millionen Dollar geplant.
Im noch nicht genehmigten SEC-Prospekt für die Emission von Aktion im Wert von 500 Millionen Dollar schreibt das Unternehmen aus Salt Lake City, USA: Digitale Wertpapiere können unmittelbar und in Echtzeit übertragen werden. Die Papiere müssen nicht über eine Bank oder einen Broker-Dealer gehalten werden und bewegen sich damit außerhalb des traditionellen Ökosystems für Wertpapiere. Die digitalen Wertpapiere werden ausschließlich auf einem geschlossenen Handelssystem mit begrenztem Volumen und Liquidität gehandelt.
Technisch gesehen werden für den Handel, die Transaktionsabwicklung und die Verwahrung also weder Börsen, Abwicklungsdienstleister, Banken und Verwahrer benötigt. Viele dieser Unternehmen, die heute an der Transaktionsabwicklung von Wertpapieren beteiligt sind, kennen die Kunden gar nicht, wie etwa in Deutschland die Wertpapierabwickler Deutsche WertpapierService Bank (dwp) oder Clearstream. Nach Informationen der Technology Review verdienen Banken, Börsen und Dienstleister derzeit viele Milliarden an Gebühren mit dem aktuellen System. Ich kann das aus eigener beruflicher Erfahrung bestätigen.
Auf Seite 4: Technologie muss noch viele Hürden nehmen
Manche sind überzeugt, dass sich mit einer relativen einfachen Softwarearchitektur prinzipiell das gesamte aufwändige System für Abwicklung und Abrechnung von Wertpapiertransaktionen ersetzen lässt und nur noch ein sehr kurzer Zeitraum zwischen Handel und endgültiger Verbuchung liegt.
Freilich ist die Ablösung traditioneller Dienstleister nicht ganz so trivial, wie sich das viele vorstellen, denn die aktuellen Services umfassen ja nicht nur die rechtssichere Übertragung, Verbuchung und Verwahrung von Wertpapieren, sondern auch die Einhaltung umfassender regulatorischer Vorgaben sowie umfangreiche Informations- und Serviceleistungen im Zusammenhang mit der Verwaltung und Verwahrung von Wertpapieren.
Overstock selbst gibt den Banken über die eigene Informationsseite "How to issue a cryptosecurity" Einblick in die Vorbereitungen. Es behauptet dort niemand, dass der Prozess hier heute schon perfekt ist, die Blockchain 1.0 hat mit diversen Problemen zu kämpfen und wurde, das sollte nicht vergessen werden, für Bitcoins entwickelt. Dennoch ist das Ziel klar: Die klassischen Wertschöpfungsketten im Geschäft mit Wertpapieren werden in Frage gestellt und sich ändern. Daran habe ich keine Zweifel. Die einzige Frage ist nur, in welchem Zeitraum sich das abspielen wird und wie die Technologie, die auf viele weitere Anwendungsfälle der Bankpraxis anwendbar ist, aufsichtsrechtlich begleitet wird.
Nach einer internen Untersuchung der Santander Bank, über die der Bitcoin Blog berichtete, soll die Blockchain-Technologie das Potenzial haben, die Kosten des globalen Banking bis 2022 um 15 bis 20 Milliarden Dollar je Jahr zu reduzieren. Der Chef von Santander InnoVentures, Mariano Belinky, wird vom Bitcoin Blog wie folgt zitiert:
"Wir haben intern 20 bis 25 Anwendungen für diese Technologie identifiziert." Belinky verwies auf internationale Transaktionen, Handelsfinanzen, das Verleihen unter Interessensgemeinschaften sowie die Verwaltung von Schuldensicherheiten. Julio M Faura, Chef der Innovationsabteilung von Santander, erklärte: "Für uns liegt die erste offensichtliche Anwendung der Blockchain im Payment, vor allem in internationalen Überweisungen. Langfristig denken wir aber, dass Smart Contracts das Potenzial haben, viele andere Dinge zu verändern, die wir tun."
Belinky hat übrigens richtig erkannt, dass das Ausrollen der neuen quelloffenen Technologie im Finanzsektor nicht durch eine Bank allein erfolgen kann. Das widerspräche den Blockchain-Prinzipien. Ernsthafte Anwendungen in der Finanzwelt können erst durch die globale Kooperation globaler entstehen, die sich auf bestimmte Standards einigen müssten. Wenn man daran denkt, wie viele Jahre die Einführung von SEPA benötigt hat, dann werden wir hier morgen und übermorgen noch keine marktreifen Anwendungen aus dem Finanzsektor sehen. Es ist also Zeit genug für Unternehmen wie Overstock und viele andere FinTechs den Markt mit eigenen Lösungen zu besetzen. In jedem Fall müssten sich aber Dienstleister wie Clearstream, die dwp oder Swift schon heute ernsthafte Gedanken über ihr Geschäftsmodell von morgen machen.
Dirk Elsner arbeitet als Unternehmensberater für die Innovecs GmbH.