KARLSRUHE (dpa-AFX) - Der Bundesgerichtshof (BGH) will am Donnerstag (8.30 Uhr) verkünden, ob EU-Staaten vor deutschen Gerichten gegen internationale Schiedsverfahren zu Investitionen im Energiebereich vorgehen können. Der erste Zivilsenat in Karlsruhe hat sich drei Fälle angeschaut, in denen Deutschland beziehungsweise die Niederlande infolge geänderter Energiepolitik mit Energieunternehmen aus jeweils anderen EU-Ländern streiten. Zu den betroffenen Firmen zählen RWE
Hintergrund ist der sogenannte Energiecharta-Vertrag, nach dem bei Streitigkeiten zwischen einem Land und Investoren aus einem anderen Land ein unabhängiges Schiedsgericht schlichten soll. Dahinter steckt die Absicht, Unternehmen beim Investieren Sicherheit zuzusichern, indem eine unabhängige Instanz Konflikte lösen soll.
Als Deutschland und die Niederlande angesichts der Klimakrise ihre Energiepolitik änderten, kam es zu Konflikten mit ausländischen Investoren. Diese starteten dann jene Schiedsverfahren, die die EU-Staaten stoppen wollen. In der mehr als dreistündigen Verhandlung Mitte Mai am BGH wurde die Komplexität der damit verbundenen Rechtsfragen deutlich.
Womöglich widersprechen gesetzliche Regeln in Deutschland, etwa in der Zivilprozessordnung, und EU-Rechtsprechung dem Weg über Schiedsgerichte. Unter anderem geht es darum, ob deutsche Gerichte internationale Zuständigkeit haben und wie eng man Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auslegt.
Die Firmen sehen sich um hohe Summen geschädigt, in einem Fall gar um rund 1,4 Milliarden Euro. Bei RWE und Uniper geht es nach BGH-Angaben um Investitionen in niederländische Kohlekraftwerke. Das Königreich hat aber inzwischen beschlossen, bis 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen. In einem anderen Verfahren beklagen mehrere Firmen eines irischen Konzerns, dass Deutschland seine Gesetzgebung zur Windenergie speziell für Offshore-Anlagen geändert hat.
Die Unternehmen haben die Fälle am Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) eingereicht, eine unabhängige Einrichtung innerhalb der Weltbankgruppe. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit der Gründung 1966 Mitglied.
Die beiden Staaten wandten sich an deutsche Gerichte, um feststellen zu lassen, dass die Verfahren unzulässig seien. Das Oberlandesgericht Köln und das Berliner Kammergericht kamen jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen darüber, ob die Anträge rechtmäßig sind.
Ein deutsches Gericht könne laut Zivilprozessordnung vor der Bildung eines Schiedsgerichts feststellen, dass so ein Verfahren unzulässig ist, argumentierte Anwalt Matthias Koch, der die Bundesrepublik am BGH vertritt. Aus Sicht der Unternehmen garantieren die Schiedsverfahren Neutralität. "Die Möglichkeit, eine Streitigkeit einem unabhängigen Forum vorzulegen, ist ein hoher Wert", sagte der BGH-Anwalt von Uniper, Gottfried Hammer. Die Anwälte der Gegenseite betonten daraufhin, auch deutsche Gerichte seien unabhängig.
Der Energiecharta-Vertrag, auf dem die Verfahren beruhen, ist ohnehin umstritten. Die Bundesregierung beschloss den Austritt Deutschlands Ende vergangenen Jahres. Die Ausstiegsfrist beträgt allerdings 20 Jahre. Italien trat 2016 aus. Andere EU-Länder wie Frankreich, die Niederlande und Spanien haben den Rückzug ebenfalls angekündigt. Anfang Juli legte die Europäische Kommission einen Gesetzesvorschlag für einen koordinierten Austritt der EU und der EU-Länder aus dem Energieabkommen vor. Der Vertrag sei nicht mehr kompatibel mit den Klimaambitionen der EU, hieß es. Ein gemeinsamer Ausstieg muss von den Ländern und mit Zustimmung des EU-Parlaments beschlossen werden./kre/DP/zb
Quelle: dpa-Afx