STRASSBURG (dpa-AFX) - Von der geplanten Reform des europäischen Strommarkts sollen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zufolge vor allem die Konsumenten profitieren. "Im Mittelpunkt dieser Reform stehen die Verbraucher", sagte die deutsche Politikerin in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur und anderer Agenturen des European Newsroom. Ein Hauptziel sei, den Verbrauchern die Vorteile kostengünstiger erneuerbarer Energien näher zu bringen.
Die EU-Kommission will am Dienstag ihre Vorschläge für die Reform des Strommarkts präsentieren. Die Strompreise waren im vergangenen Jahr extrem gestiegen. Grund dafür war unter anderem, dass zeitweise rund die Hälfte der französischen Atomkraftwerke ausfiel. Zudem war der Strompreisanstieg eine Folge explodierender Gaspreise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.
Denn der Strommarkt in der EU funktioniert nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip. Dies bezeichnet die Einsatzreihenfolge der an der Strombörse anbietenden Kraftwerke. Kraftwerke, die billig Strom produzieren können, werden zuerst herangezogen, um die Nachfrage zu decken. Das sind zum Beispiel Windkraftanlagen. Am Ende richtet sich der Preis aber nach dem zuletzt geschalteten und somit teuersten Kraftwerk. Das sind oft die Gaskraftwerke. Weil der Gaspreis vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine stark gestiegen ist, ist auch Strom teurer geworden.
Der relevante Gaspreis liegt derzeit allerdings wieder deutlich unter den Rekordwerten vom vergangenen Jahr. Zuletzt waren es rund 50 Euro pro Megawattstunde - im vergangenen Sommer waren es teils deutlich mehr als 300 Euro.
Eine ganz tiefgreifende Reform des Strommarkts ist nun nicht geplant. Stattdessen sollen Verbraucher und Unternehmen nach bereits öffentlich gewordenen Entwürfen etwa vermehrt von langfristigen Verträgen und somit von stabileren Preisen profitieren.
Von der Leyen setzt darauf, dass die EU-Staaten und das Europaparlament die Verhandlungen über den neuen Vorschlag bis zur Europawahl im Mai 2024 abschließen. Dieser sei gut durchdacht und man habe intensiv mit Experten beraten. "Deshalb denke ich, dass es sich lohnt, hart daran zu arbeiten, ihn vor den Europawahlen fertigzustellen."
Anders als etwa Frankreich und Spanien dürfte die Bundesregierung es begrüßen, dass die EU-Kommission auf ganz tiefgreifende Änderungen zunächst verzichtet. Deutschland hatte zuletzt zusammen mit Ländern wie den Niederlanden, Dänemark, und Luxemburg immer wieder vor einer übereilten Reform gewarnt.
Zunächst brauche es schnelle und einfach umzusetzende Schritte, sagte etwa Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold (Grüne). Er sprach etwa von "Maßnahmen, die uns schnell zu mehr Langfristigkeit in den Verträgen bringen und die auch dafür sorgen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vor Preisspitzen geschützt werden". Die systematischen langfristigen Reformen müssten dann so angelegt werden, dass sie keine Schäden anrichteten und Europa fit für ein Energiesystem ohne fossile Energien machten.
Auch Ökonom Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel hält es für eine gute Nachricht, dass zunächst keine Radikalreform kommt. Im vergangenen Jahr sei dies aufgrund des politischen Drucks infolge der explodierten Strompreise nicht ausgeschlossen gewesen, sagte Zachmann der dpa. "Die Reformvorschläge, die 2022 diskutiert wurden, wären alle ziemliche Fehlschläge gewesen."
Doch auch Zachmann sieht in den kommenden Jahren den Bedarf einer großen, umfassenden Reform. Denn mit den nun erwarteten Vorschlägen würden womöglich die Probleme des vergangenen Jahres, aber nicht die der kommenden drei Jahrzehnte gelöst. Er verweist etwa auf die eine massive Elektrifizierung der Gesellschaft und die Digitalisierung des Strommarkts. Zudem dürften ihm zufolge künftig deutlich mehr einzelne Akteure etwa mit Solar- oder Windanlagen auf dem Markt aktiv sein. Diese große Reform sei dann voraussichtlich ein Gesetzespaket für die nächste Legislaturperiode - auch wenn die jetzige EU-Kommission diese schon vorbereiten sollte, sagte Zachmann./wim/DP/zb
--- Gespräch: Katharina Redanz und Michel Winde, dpa ---
Quelle: dpa-Afx