BRÜSSEL (dpa-AFX) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat die seit Monaten andauernde Debatte über die Einstufung von Atomkraft als umweltfreundliche Technologie heruntergespielt. "Die Frage wird völlig überbewertet", sagte Scholz bei einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach dem EU-Gipfel in der Nacht zu Freitag. "Es geht hier um die Einschätzung der Aktivitäten von Unternehmen - wichtig für diejenigen, die Geld anlegen wollen." Die Intensität der Debatte zeige, dass Geld anlegen ein wichtiges Thema sei, sagte Scholz. Am Ende entschieden jedoch die einzelnen Länder, welchen Weg sie gehen wollten im Hinblick auf ihren Pfad für eine emissionsfreie Zukunft, sagte Scholz.
Hintergrund der Äußerungen des neuen Kanzlers ist eine seit Monaten andauernde Diskussion um die sogenannte EU-Taxonomie, die einordnen soll, welche Bereiche der Wirtschaft als umweltfreundlich gelten. So sollen Bürger und Investoren klare Informationen über nachhaltige Finanzprodukte erhalten.
Frankreich produziert einen Großteil seines Stroms mit Kernspaltung und will die Atomkraft daher unbedingt in die Taxonomie aufnehmen, Deutschland ist bislang dagegen. "Wir haben unterschiedliche Modelle der Stromproduktion", sagte Macron. Man müsse eine Lösung für die Taxonomie finden, die es beiden Ländern ermögliche, private Gelder in ihre Industrien zu leiten. Über die Ausgestaltung der Taxonomie seien Deutschland und Frankreich intensiv im Gespräch, auch mit der dafür zuständigen EU-Kommission, sagte Scholz.
Die Brüsseler Behörde will voraussichtlich nächste Woche einen so genannten delegierten Rechtsakt vorstellen, der die Frage abschließend klären könnte. Es gilt als wahrscheinlich, dass bestimmte Gas- und Atomkraftwerke zumindest vorübergehend in der Taxonomie gelistet werden.
Auch wenn Scholz und Macron harmonisch wirkten, hielt unter anderem die Diskussion über die Taxonomie die Gespräche zum Thema Energiepreise auf, wie Ratspräsident Charles Michel bei einer separaten Pressekonferenz mitteilte. So konnten sich die Staats- und Regierungschefs bei dem Treffen nicht auf eine gemeinsame Linie zu den stark gestiegenen Energiepreisen einigen./dub/DP/zb
Quelle: dpa-Afx