Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel erschien am 23.02.2017 in Heftausgabe 08/2017

Mit Operationen verbinden die wenigsten Menschen positive Gedanken. Warren Buffett tickt anders. Der Altmeister der Aktienanlage glänzt bereits seit Dekaden mit feinem Gespür für lohnende Investments und bemüht den medizinischen Vergleich für besonders großartige Engagements. Ein gutes Unternehmen mit vorübergehenden Problemen sei das Beste, was ihm passieren könne: "Wir wollen es kaufen, wenn es auf dem Operationstisch liegt", so das Credo des "Orakels von Omaha".

Dabei folgt Buffett seiner eigenen Grundregel, wunderbare Unternehmen zu einem Preis zu erwerben, der unter dem fairen Wert liegt. Das klingt in der Theorie einfach. In die Praxis übertragen ergeben sich jedoch zahlreiche Hindernisse. Wo liegt der innere Wert einer Gesellschaft, und wie erkennt man ihn, wenn plötzlich Probleme und Negativschlagzeilen das Tagesgeschäft überlagern? Nicht zu Unrecht wird der aufmerksame Investor misstrauisch, wenn tolle Unternehmen zum halben Preis zu haben sind. Folglich beginnt die Suche nach dem allseits bekannten Haken.

In einer Zeit der Digitalisierung, in der sich Informationen innerhalb weniger Sekunden rund um den Globus verbreiten, bleibt dem Kapitalmarkt kein noch so kleines Detail verborgen. Somit gibt es im Regelfall bei stärkeren Kursrückgängen immer auch eine dazugehörige Ursache. Schließlich muss es einen Grund geben, der Anleger verunsichert oder gar zum Verkauf bewegt. Wer ein Schnäppchen machen will, muss sich also auf Spurensuche begeben und genau identifizieren, woher die aktuellen Unruhen rühren.

Ein erster guter und vor allem effektiver Anlaufpunkt ist dabei die Medienlandschaft. Über Skandale im Zusammenhang mit Unternehmen, massive Managementfehler oder sonstige Probleme wird in der Regel schnell und ausführlich berichtet. Ein Beispiel sind die zahlreichen Presseberichte über den VW-Abgasskandal.

Ist der Störenfried erst einmal ausfindig gemacht, geht es darum zu bewerten, welchen Einfluss dieser auf das Unternehmen hat. Sind Fehler kurzfristiger Natur und können behoben werden, so rückt eine Anlage in den Bereich des Mög-lichen. Dazu können einmalige Ereignisse wie Umwelteinflüsse oder Fehler im Management zählen. Anders sieht es jedoch bei Problemen aus, die das gesamte Geschäftsmodell einer Gesellschaft infrage stellen. Der Aktionismus der Bundesregierung nach dem Atomunglück von Fukushima hat dazu geführt, dass Eon und RWE von einem Tag auf den anderen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Die Politik kann also einen immensen bleibenden Einfluss ausüben.

Ebenfalls nicht selten ist Sturheit des Managements, das versucht, sich gegen Trends und Entwicklungen zu stellen, und damit einen gesamten Konzern ins Wanken bringen kann. Hier wäre Nokia anzuführen, wo die Konzernleitung zu lange auf die Handytastatur setzte und sich dem Touchscreen verwehrte.

Das Faszinierende am Kapitalmarkt ist, dass sich bei Turnaround-Situationen selbst der am besten und längsten ausgebildete Analyst letztendlich auf seine persönliche Einschätzung und den eigenen Instinkt verlassen muss. Wer an der Börse aktiv sein will, sollte sich daher immer eine eigene Meinung bilden.

Gefallene Engel im Rückblick





Gefallene Engel im Rückblick



Im August hatte BÖRSE ONLINE in der Titelgeschichte neun gefallene Engel vorgestellt, die sich seither recht unterschiedlich entwickelt haben. Da sich mit Vale einer dieser Werte im Kurs verdoppelt hat, fällt die Gesamtbilanz sehr positiv aus, obwohl bei anderen Aktien noch Sitzfleisch gefragt ist. Das ist typisch für Turnaround-Spekulationen: Angeln ist eine Sache der Geduld. Wer einen dicken Fisch an Land ziehen will, braucht einen langfristigen Anlagehorizont und muss Rückschläge infolge schlechter Nachrichten aushalten können.

Während die neun Sorgenkinder aus dem August vergangenen Jahres zum Beispiel durch hohe Verschuldung oder Unsicherheit in Bezug auf das Geschäftsmodell vor großen Restrukturierungsherausforderungen standen (und stehen), sind unsere aktuellen Kandidaten prinzipiell gesund. Ihr Geschäftsmodell besitzt heute und wohl auch in Zukunft eine Daseinsberechtigung. Auf den folgenden Seiten stellen wir sechs Unternehmen vor, die mit spezifischen Problemen zu kämpfen haben, weshalb die Aktien in jüngster Vergangenheit unter Druck geraten sind und somit attraktive Chancen für Langfristanleger bieten.

Vale als Überflieger: Die fünf von der Redaktion im August 2016 zum Kauf empfohlenen Turnaround-Kandidaten (grün eingefärbt) brachten im Schnitt ein Plus von 28,51 Prozent. Berücksichtigt man auch die vier mit "Beobachten" bewerteten Aktien, wären es immerhin noch 13,78 Prozent geworden.



Auf Seite - : Die sechs aussichtsreichsten Turnaround-Kandidaten





Cerner-Aktie: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben



Das Unternehmen: Mit über 25 000 Mitarbeitern ist das IT-Unternehmen Cerner im Bereich der Gesundheitssoftware aktiv. Das US-Unternehmen versorgt Krankenhäuser, Pharmaunternehmen und Krankenversicherungen mit auf die Industrie zugeschnittenen Softwarelösungen. Dabei profitiert das US-Unternehmen vom generellen Trend zur Digitalisierung. In den vergangenen sieben Jahren hat sich der Umsatz mehr als verdreifacht.

Was ist passiert? Die Segmente unterteilen sich in den Neuverkauf von Systemen und die IT-Betreuung von Bestandskunden. Somit verfügt der Konzern über gut kalkulierbare Einnahmen, muss jedoch in Marketing investieren, um neue Software an den Kunden zu bringen. Die Neuverkäufe hinkten den Erwartungen 2016 hinterher. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Präsidentschaftswahlen und die Unsicherheit, was mit Obamacare geschehen wird, im Gesundheitssektor dazu geführt haben, dass Investitionen in die IT-Infrastruktur verschoben wurden. Vor der Einführung von Obamacare war zum einzigen Mal in der Unternehmensgeschichte ein ähnliches Bild zu beobachten. Auch damals waren die Entscheider verunsichert.

Wie geht es weiter? Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, könnte hier die Devise lauten. Das Geld ist vorhanden - und die Digitalisierung sicherlich ein unaufhaltbarer Trend. Sobald wieder mehr Ruhe in das US-Gesundheitssystem einkehrt, sollte auch Cerner maßgeblich davon profitieren. Hinzu kommt ein weiterer attraktiver Faktor: Bereits heute verdient das Unternehmen mehr Geld mit dem deutlich effektiveren Service rund um die Software. Somit ist Cerner nicht nur ein Wachstumsunternehmen, sondern auch eine heranwachsende Cash-Cow.





Chipotle Mexican Grill-Aktie: Vom Analystenliebling zur Virenschleuder



Das Unternehmen: Da der komplette Umsatz in den USA erzielt wird, ist Chipotle Mexican Grill hierzulande noch eher unbekannt. Die Restaurantkette hat sich auf mexikanisches Essen spezialisiert. Der einstige Liebling der Wall Street hat den Umsatz von 2007 bis 2015 mehr als vervierfacht, ohne auch nur einen Cent Schulden aufzunehmen.

Was ist passiert? Im vergangenen Jahr ereilte das Unternehmen der Super-GAU im Gastronomiegewerbe: Es gab mehrere Meldungen, wonach Kunden nach dem Besuch einer Filiale am Norovirus erkrankten - und das beileibe nicht nur regional begrenzt. Dies hat das Vertrauen in den bis dahin makellosen Konzern mit einem Schlag zunichtegemacht. Der Umsatz fiel 2016 um über 13 Prozent, sodass man am Ende so gerade mit Ach und Krach eine schwarze Null halten konnte.

Wie geht es weiter? Chipotle hat eine Großoffensive gestartet, die dem gesamten Konzern ein grünes und gesundes Bild verleihen soll. Mitarbeiterschulungen wurden vorgenommen, und ein bis dahin unerreichter Standard an Gesundheitsmaßnahmen etabliert. Außerdem gewann der Konzern einige strategische Investoren hinzu, die bereits McDonald’s in den 90er-Jahren in einer ähnlichen Situation begleitet hatten. Chipotle will zudem in naher Zukunft ins Ausland expandieren. Mit diesem Schritt könnte der Konzern in mehrfacher Hinsicht punkten. Zum einen würde man damit neue Märkte erschließen und wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren, zum anderen waren die Virusvorfälle außerhalb der Vereinigten Staaten in den Medien kaum ein Thema.





Inmarsat-Aktie: Konkurrenzkampf im Weltraum



Das Unternehmen: Der englische Konzern Inmarsat wurde ursprünglich gegründet, um über Satelliten verschollene Seefahrer aufzuspüren und somit für mehr Sicherheit in der Schifffahrt zu sorgen. Mittlerweile bedient das Unternehmen in einem Angebotsoligopol (wenige Anbieter, viele Nachfrager) die gesamte Bandbreite an Kunden von Regierungen über Telekomkonzerne bis hin zu Internet- und TV-Anbietern. Die Kommunikation muss heutzutage in Sekundenschnelle funktionieren und dabei auch Personen auf der anderen Seite des Globus erreichen. Von genau diesem grundlegenden Trend profitiert Inmarsat.

Was ist passiert? In der Branche wird mit den Hauptkonkurrenten SES aus Luxemburg und Eutelsat aus Frankreich der Kampf um die Kunden zunehmend härter. Das drückt die Margen. Endverbraucher wollen mehr Datenvolumen im Mobilfunk und HD-Fernsehprogramme, sind aber nicht bereit, mehr dafür zu bezahlen.

Wie geht es weiter? Inmarsat nutzt über ein Drittel des Umsatzes von zuletzt 1,3 Milliarden US-Dollar für Investitionen in neue Projekte. Aktuell steht etwa im Fokus, auch Flugzeuge flächendeckend mit WLAN auszustatten. Jüngste Umfragen haben ergeben, dass Passagiere darin einen deutlichen Mehrwert sehen und demzufolge auch Abstriche, etwa beim Essen, hinnehmen würden. Eine neue Kooperation mit der Lufthansa bringt Inmarsat hier in die Poleposition. Zudem steht der generelle Trend zu steigender Informationsflut auf der ganzen Welt im Mittelpunkt des Interesses. Die Wartezeit, bis sich der Aktienkurs erholt, wird mit einer Dividendenrendite von sieben Prozent versüßt. Ein klassisches Investment für langfristig orientierte Anleger.





Michael Kors-Aktie: Das weiße Schaf in der schwarzen Herde



Das Unternehmen: Die Marke ist bekannt, deshalb befinden sich die Shops an den besten Adressen der Welt wie der 5th Avenue in New York. Michael Kors vertreibt Textilien und Accessoires im höherpreisigen Segment und versucht dabei vor allem eins zu verkaufen: Lifestyle. Die vom Designer Michael Kors gegründete Holding konnte den Umsatz von 2010 bis 2016 um mehr als 900 Prozent steigern. Die Gewinne kletterten noch schneller.

Was ist passiert? Die Textilbranche ist aufgrund erhöhten Preisdrucks, aber auch wegen zu hoher Fixkosten durch immer mehr eigene Stores ordentlich durchgewirbelt worden. Hinzu kommt der zunehmende Druck von Onlinehändlern, die das klassische Endkundengeschäft vor neue Herausforderungen stellen. Von diesen Unruhen blieb auch die Aktie von Michael Kors nicht unbeeindruckt.

Wie geht es weiter? Michael Kors leidet wie die gesamte Branche unter den oben skizzierten Einflussfaktoren. Doch der Status als Lifestyle-Marke sorgt dafür, dass das Unternehmen vergleichsweise glimpflich davonkommt. Das wird an der überdurchschnittlichen Nettogewinnmarge von über 16 Prozent deutlich. Die Branche erreicht im Schnitt gerade mal drei Prozent. Das aktuelle Kursniveau, erscheint sowohl generell als auch im Vergleich zur Branche günstig. Michael Kors könnte daher als weißes Schaf in der schwarzen Herde beschrieben werden. Wir sind der Ansicht, der Kurs hat genug gelitten, und stufen die Aktie auf "Kaufen" hoch, wenngleich Modeunternehmen immer das Risiko der einen oder anderen gefloppten Kollektion innewohnt.





Novo Nordisk-Aktie: Wachstumschancen im Fernen Osten



Das Unternehmen: Wenn es um Diabetespharmazie geht, gehört Novo Nordisk zu den weltweit führenden Konzernen. Seit 1923 ist die Gesellschaft Schritt für Schritt gewachsen, sie ist kaum verschuldet und steht auf stabilen Beinen. Das dänische Unternehmen galt als Qualitätstitel schlechthin und war somit fester Bestandteil in vielen Depots. Dieses Bild eines Stabilitätsankers in jeder Marktphase begann nun jedoch massiv zu bröckeln, während sich die Aktienmärkte weiter nach oben bewegten.

Was ist passiert? Während das Unternehmen die Erwartungen der Analysten im Jahr 2015 voll und ganz befriedigen konnte, gelang dies 2016 nicht mehr. Vor allem in den USA, wo der Konzern derzeit über die Hälfte seines Umsatzes macht, gibt es mächtig Gegenwind. Vor allem der Preisdruck für Insulin durch Generikahersteller vermiest den Dänen das Geschäft. Dieser Trend soll laut Unternehmensangaben auch 2017 anhalten.

Wie geht es weiter? Trotz aller Negativfaktoren gelang es Novo Nordisk 2016, den Umsatz insgesamt um 3,6 Prozent zu steigern. In den USA, aber auch in Europa hat der Lebensstil in den zurückliegenden Jahren dafür gesorgt, dass immer mehr Menschen an Diabetes Typ 2 erkranken. Mittlerweile ist in der westlichen Welt zwar eine Verlangsamung dieses Trends erkennbar. Die Verkäufe wuchsen in Europa nur noch um zwei, in den USA um vier Prozent. Doch sollte sich der westliche Lebensstil in Asien weiter etablieren, könnte dort in Zukunft ein völlig neuer Markt entstehen, der die Kapazi-täten von heute winzig erscheinen lässt. Novo Nordisk scheint als Weltmarktführer gut aufgestellt. Bereits 2016 kletterten die Verkäufe in Asien um über 13 Prozent.





Under Armour-Aktie: Sympathien für Trump bremsen das Geschäft



Das Unternehmen: Nach Nike und Adidas gehört Under Armour weltweit zu den führenden Herstellern von Sportartikeln. Die US-Firma, zuletzt wegen positiver Statements zu Donald Trump in die Kritik geraten, galt als vorbildliches Wachstumsunternehmen. Während 2006 ein Umsatz von 431 Millionen Dollar eingefahren wurde, waren es bereits drei Jahre später doppelt so viel. In den abgelaufenen zwölf Monaten summierten sich die Erlöse auf 4,7 Milliarden Dollar. Zudem ist der Konzern nur leicht verschuldet und steht somit auf stabilen Beinen.

Was ist passiert? Analysten und Anleger glaubten daran, dass die Bäume in den Himmel wachsen. Die Ziele waren zu hoch gesteckt, Investoren enttäuscht - der Kurs rauschte gen Süden.

Wie geht es weiter: Aktuell befindet sich Under Armour in einem Transformationsprozess vom reinen Wachstumsunternehmen hin zu einem Konzern, der nun vor allem auch durch Rentabilität überzeugen muss. Wenngleich man wohl auch in Zukunft schneller wachsen wird als Nike und Adidas, erhoffen sich Anleger vor allem höhere Gewinne. Unruhen im Vorstand hingegen dürften kurzfristig weiter für Spannung sorgen. So legte sich Vorstandschef Kevin Plank mit seinen Sympathien für Donald Trump unter anderem mit dem Werbegesicht des Konzerns, dem Basketballer Stephen Curry, an. Zudem ging der Finanzvorstand nach miserablen Ergebnissen von Bord, nahm sich jedoch nochmals die Zeit, von Problemen (verlangsamtes Wachstum und mehr Konkurrenz) in den USA zu sprechen, die auch 2017 anhalten könnten.