Aus Sicht von RWE hätte der Jahresauftakt kaum besser verlaufen können. Nach zähen und langen Verhandlungen haben sich Bund, Länder und Energieversorger auf die Bedingungen für den Kohlausstieg geeinigt. Im Gegenzug erhält RWE Entschädigungen von 2,6 Mrd. Euro über einen Zeitraum von 15 Jahren und damit deutlich mehr als zuletzt erwartet. Noch vor gut einer Woche rechnete der Markt mit zwei Mrd. Euro, Goldman Sachs hatte die Entschädigungssumme sogar nur mit 1,5 Mrd. Euro angesetzt. Zuletzt wurde der Versorger mit dem Wegfall des Unsicherheitsfaktors "Kohle" bereits als Übernahmeziel gehandelt.

Analysten äußerten sich daher positiv: Morgan Stanley erhöhte das Kursziel von 32 auf 34,60 Euro, die Berenberg Bank passte den fairen Wert auf 34,50 Euro an, zuvor wurden 28 Euro ausgegeben. Das Thema Erneuerbare Energien rückt mit dem Kohlausstieg nun eindeutig in den Fokus, die sich daraus eröffnenden Wachstumschancen sind nicht zu unterschätzen.

Richtungsweisendes Strategie-Update


Schon jetzt sollten sich Anleger zwei Termine im März vormerken. Zahlen zur jüngsten Geschäftsentwicklung werden am 11. März erwartet. Wichtiger aber dürfte der Capital Market Day in London am 12 März werden, wenn RWE ein Strategie-Update und somit wesentliche Infos zur Neuaufstellung präsentieren wird. Grundsätzlich sollte sich der Mix aus abgesicherten Strompreisen und abzeichnenden Versorgungsengpässen aufgrund der laufenden Energiewende in mittelfristig deutlich steigenden Gewinnen niederschlagen. Zudem wird erwartet, dass RWE die Kapazitätsrückgänge durch den Kohleausstieg gut durch das Wachstum im Bereich der Erneuerbaren Energien kompensieren kann, flankiert von einer Margenausweitung.

Börse Online kalkuliert derzeit mit einem Ergebnis je Aktie für 2019 von 1,95 Euro und 1,69 Euro in diesem Jahr. Wegen der jüngsten Kursrally liegt das 2020er-KGV bereits bei 18,4 und somit auf einem im Konkurrenzvergleich sowie dem 10-Jahres-Durchschnitt erhöhtem Niveau. Die Dividendenrendite fällt mir weniger als drei Prozent zugleich eher unterdurchschnittlich aus.

Zu schnell gestiegen


Etwas zur Vorsicht mahnt auch die Markttechnik. Auf Basis des vom Börsendienst Index Radar neu entwickelten Aktien-Bewertungsmodells steht die RWE-Aktie aktuell auf "halten". Zwar ist die Trendeinschätzung eindeutig positiv, wie der auf Basis eines komplexen mathematischen Verfahrens berechnete Pfeil zeigt. Allerdings ist der Kurs zuletzt ungewöhnlich kräftig gestiegen und somit überkauft, entsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit für eine bevorstehende Konsolidierung.

Charttechnisch rückt zudem ein alter Wendebereich aus 2014 bei 32,40 Euro in den Vordergrund, der ebenfalls Gewinnmitnahmen auslösen könnte. Eine gesunde Atempause zwischen 26 bis 28 Euro sollten Anleger aber als Nachkaufgelegenheit nutzen. Der grundsätzliche Aufwärtstrend ist intakt, zudem ist der Konzern nicht so großen Risiken mit Blick auf den schwelenden Handelsstreit mit den USA ausgeliefert wie andere deutsche Firmen. Dies spielt der Aktie ebenso in die Karten wie die frische Übernahmefantasie.

Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast bei n-tv und dem Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD). Bei BÖRSE ONLINE war er sechs Jahre Online-Koordinator und Redakteur mit den Schwerpunkten Nebenwerte Deutschland, Zertifikate und Technische Analyse.

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