Ängste vor den negativen Folgen des Handelsstreits lähmen derzeit die Börsen, auf die Rally im ersten Halbjahr folgte zuletzt eine kalte Dusche. Nicht so bei RWE: Seit Jahresbeginn steht die Aktie 35 Prozent höher, nur für Adidas lief es mit 42 Prozent noch besser. Doch die Aufwärtsdynamik bei der RWE-Aktie nimmt zu: So kletterte der Kurs in den vergangenen vier Wochen um gut zwölf Prozent, kein anderer DAX-Wert kann eine ähnliche Bilanz aufweisen.

Sollte die Weltwirtschaft weiter abkühlen und das zweite Halbjahr anhaltend schwierig bleiben, dürften defensive Titel verstärkt Kapitalzuflüsse aufweisen. In einem solchen Szenario könnte RWE im Performance-Ranking das Börsenjahr 2019 als beste DAX-Aktie abschließen. Die Voraussetzungen sind durchaus gut: Im Ranking der Relativen Stärke stehen die Papiere auf dem ersten Platz. Vor allem viele Profis achten auf diese, wissenschaftlich am Besten abgesicherte Anlagemethode.



Neue Prognose nicht überbewerten


Von operativer Seite stimmt ebenfalls das Bild. Nachdem der Energieriese aus Essen bereits im ersten Quartal die Markterwartungen deutlich übertraf, liefen auch im Zeitraum von April bis Juni die Geschäfte überraschend gut. Aufgrund einer "außerordentlich" starken Entwicklung im Energiehandel nahm der Konzern bereits Ende Juli die Messlatte für das Gesamtjahr etwas nach oben. So soll der bereinigte Betriebsgewinn im Segment Energiehandel 2019 deutlich über 300 Mio. Euro liegen. Zuvor war ein Korridor von 100 bis 300 Mio. Euro ausgegeben worden.

Die Ausblicke für die beiden anderen Kerngeschäftsfelder Braunkohle und Kernenergie sowie Europäische Stromerzeugung blieben unverändert. Entsprechend passte RWE auch die Ergebnisprognose für das Geschäftsjahr 2019 nach oben an. Allerdings gilt es hier eine Besonderheit zu beachten: Der Energiehandel ist äußerst volatil, die jüngsten Erfolge dürfen nicht auf die kommenden Jahre fortgeschrieben werden. Weitere Details wird der Zwischenbericht über das erste Halbjahr am 14. August liefern.

Profiteur der grünen Welle


Analysten richten ihren Fokus daher weiter auf die Bewertung nach der Neuaufstellung. Bisher läuft die mit Eon angekündigte Neuordnung der Stromkonzerne nach Plan. Die Essener wollen sich als Ökostromkonzern positionieren. Auch die Analysten der DZ Bank sind zuversichtlich, dass die noch offenen kartellrechtlichen Genehmigungen für die Transaktionen zwischen RWE, Eon und Innogy erteilt werden und so die Neuaufstellung wie geplant stattfinden kann. Lediglich die Verhandlungen mit Berlin wegen des Kohleausstiegs verlaufen träge, was vor allem an den politischen Rahmenbedingungen liegt. Gerade das Thema "Klimawandel" gewinnt aber immer stärker an Relevanz und setzt so die politischen Entscheidungsträger unter Zugzwang. Ein Kompromiss sollte daher bald möglich sein, für die RWE-Aktie würde ein weiterer Unsicherheitsfaktor wegfallen.

Die Öko-Strategie von RWE, vor allem den Bereich der Erneuerbaren Energien auszubauen, dürfte sich mittelfristig als kluger Schachzug erweisen. Auch die höhere Auslastung der Gaskraftwerke wegen des Kohleausstiegs sowie die günstig erworbenen CO2-Verschmutzungsrechte wirken positiv. Nur wenn der Deal mit Eon scheitert oder die Entschädigungen beim Kohleausstieg tiefer ausfallen als erwartet, droht Ungemach.

Ausbruch läuft


Freude bereitet schon jetzt der Blick auf den Kursverlauf. Ein aufsteigendes Dreieck wurde zuletzt nach oben hin aufgelöst und bietet mittel- bis langfristig Luft bis weit über der 30er-Marke. Kurzfristig ist die Aktie hingegen überhitzt, eine Konsolidierung rückt näher. Rücksetzer bieten sich dann zum Einstieg an. Unser Stopp verbleibt bei 18 Euro, während wir auf der Oberseite zunächst die 27er-Schwelle als Kursziel festlegen.



Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast bei n-tv und dem Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD). Bei BÖRSE ONLINE war er sechs Jahre Online-Koordinator und Redakteur mit den Schwerpunkten Nebenwerte Deutschland, Zertifikate und Technische Analyse. www.index-radar.de