"VW mauert und gibt nur das Nötigste preis", sagt Marketingexperte Sven Henkel von der European Business School in Oestrich-Winkel. Sollten die Vorwürfe der EPA zutreffen, wäre der Skandal womöglich noch größer und könnte auch Neu-VW-Chef Matthias Müller in Schwierigkeiten bringen.

Volkswagen habe die Größe der Probleme offenbar nicht verstanden, sagt Bernstein-Analyst Max Warburton. Europas größter Autokonzern habe immer noch keine klare Vorstellung davon, wie die Probleme gelöst werden könnten und neige dazu, sie klein zu reden. Bei Lektüre des vergangene Woche veröffentlichten Zwischenberichts in der Affäre, könne man zudem den Eindruck bekommen, VW wäre es am liebsten, wenn alles möglichst rasch vorüberginge. "Das wird es nicht", unkte Warburton bereits Ende Oktober. Da waren die neuen Vorwürfe der EPA noch nicht bekannt. In dem Zwischenbericht bezeichnet VW den Skandal um manipulierte Emissionswerte mit bis zu elf Millionen betroffenen Fahrzeuge als "Dieselthematik". Damit soll die Affäre - verbal - weniger bedrohlich erscheinen.

Nach Ansicht von Marketing-Experte Henkel hat Volkswagen zudem die Kraft der sozialen Medien wie Facebook und Twitter unterschätzt. "Wir sind ungeduldig, wir haben eine Toleranz für Antworten von fünf Minuten und nicht mehr von drei Tagen", sagt der Wissenschaftler. Bei VW dauerten die Antworten viel zu lange. Damit seien Spekulationen Tür und Tor geöffnet. "Es wird erwartet, dass sich einer hinstellt und Frage und Antwort steht", fordert Henkel. "Bis jetzt ist Herr Müller nicht mit einer akzentuierten Botschaft nach Außen getreten. Stattdessen wird vieles über Insider und Unternehmenskreise in die Medien getragen." So würden eine verunsicherte Händlerschaft und die Kunden mit ihren Fragen alleine gelassen.

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DIE URSACHEN LIEGEN TIEFER



Der Autoexperte Stefan Bratzel sieht noch eine weitere Schwierigkeit: "Die große Gefahr ist, dass VW versucht, den Fall rasch zu klären und dann zur Tagesordnung übergeht", sagt der Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. "Dann hat man ein paar Köpfe geopfert, muss zwar Strafen zahlen, aber die Sache ist damit geritzt." Der Wissenschaftler fordert eine mit unabhängigen Experten besetzte Kommission, die den Problemen bei VW auf den Grund gehen solle. "Ich glaube, dass das Problem tiefer geht und die Unternehmenskultur betrifft. Das sind Dinge, die kann man nicht von heute auf morgen erledigen und auch nicht durch den Austausch von Köpfen."

Nach Bratzels Ansicht ist die Kommunikation von VW von Angst geprägt sei. "Jede Äußerung wird von Anwälten daraufhin geprüft, ob man im Hinblick auf Schadensersatzforderungen etwas davon verwenden kann." In diesem Klima komme es VW zu allererst darauf an, sich rechtlich nicht angreifbar zu machen. Das dürfte auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die Produktkommunikation unter dem Ansturm der Journalistenanfragen ankündigte, nur noch schriftlich eingereichte Fragen zu beantworten.

Als gutes Vorbild in Sachen Krisenkommunikation gilt die Lufthansa nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen. Die Airline bot damals eine zusätzliche Riege von Ansprechpartnern auf, um die vielen hundert Medienanfragen zu beantworten. Dafür wurde die Lufthansa später sogar vom Konkurrenten Air Berlin gelobt.

Volkswagen hat sich ein ganzes Heer von Beratern an die Seite geholt. Medienberichten zufolge kümmern sich unter Führung von der PR-Agentur Hering Schuppener in Frankfurt auch Kommunikationsexperten der Agenturen Kekst und Edelman in den USA sowie Finsbury in London um die Krisen-Kommunikation der Wolfsburger. Trotzdem weiß bei VW bisweilen die Rechte nicht, was die Linke tut: Als die "Süddeutsche Zeitung" Anfang Oktober berichtete, auch in Europa würden Abgaswerte manipuliert und sich dabei auf einen VW-Sprecher berief, dementierte dies der Konzern. "Ob und wie weit diese Software tatsächlich unerlaubt eingreift, ist derzeit noch Gegenstand der internen und externen Prüfungen", teilte die Pressestelle mit. "Vorbehaltlose Kommunikation sieht anders aus", findet Bratzel und setzt hinzu, VW sei noch nicht gewohnt, transparent zu informieren.

Der neue Konzernlenker Matthias Müller hat dies erkannt: Bei seiner Forderung nach Veränderungen spart er die Kommunikation nicht aus. "Wir brauchen eine Kultur der Offenheit und der Kooperation." Der frühere Porsche-Chef appelliert auch an die Mitarbeiter, mehr Mut, Kreativität und Unternehmertum zu zeigen. In den Ohren von Beobachtern klingt dies so, als wäre eher das Gegenteil bei Volkswagen bislang üblich. Müller und sein neuer Chefkommunikator Hans-Gerd Bode, den er von Porsche mitbrachte, werden noch dicke Bretter bohren müssen.

Reuters