BEDROHT MONATELANGER STILLSTAND IN BERLIN DEN AUFSCHWUNG?



Nein, meinen die meisten Experten. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind sehr gut gefüllt, die Beschäftigung liegt auf Rekordniveau, Waren "Made in Germany" sind im Ausland gefragt wie nie, der Staatshaushalt weist Milliarden-Überschüsse aus: Das alles spricht für einen anhaltenden Aufschwung - zumal die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Nullzinspolitik noch eine ganze Weile fortsetzen und so billige Kredite für Unternehmen wie Verbraucher sichern dürfte. "Der volkswirtschaftliche Schaden dürfte gering sein, denn die Fundamentaldaten sind stark und die Konjunktur hat viel Rückenwind", sagt deshalb der Europa-Chefvolkswirt der Nordea-Bank, Holger Sandte.

WANN KOMMT DER ERSTE GROSSE STIMMUNGSTEST?



An diesem Freitag, wenn das Münchner Ifo-Institut sein Geschäftsklima-Barometer veröffentlicht, das monatlich per Umfrage unter 7000 Firmenchefs ermittelt wird. Da die Umfrage erst am Vortag abgeschlossen wird, dürfte zumindest ein Teil der Antworten unter dem Eindruck des Jamaika-Endes abgegeben worden sein. Hieran lässt sich ablesen, ob die Manager Lage und Aussichten angesichts der politischen Unsicherheit schlechter bewerten oder nicht.

SCHADET DAS POLITISCHE HICKHACK DEM STANDORT DEUTSCHLAND?



Möglich, denn bislang gilt Deutschland als der Stabilitätsanker in Europa - politisch wie wirtschaftlich. Dass es in so kurzer Zeit zu Neuwahlen oder einer Minderheitsregierung kommt, hat es bislang noch nicht gegeben. Sollte es tatsächlich Neuwahlen im Frühjahr geben, droht monatelanger Stillstand, den sich das Land nach Meinung von Experten aber trotz der guten Lage nicht leisten kann. "Die gewaltigen Aufgaben, vor denen Deutschland steht, wie den Anschluss in der Digitalisierung nicht zu verpassen und die Reform der europäischen Institutionen, warten nicht", sagt etwa der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Achim Wambach.

WELCHE UNTERNEHMEN PROFITIEREN VOM JAMAIKA-AUS?



Schaut man auf die Börse, dann gehört der Energieversorger RWE zu den Gewinnern. Das Jamaika-Aus dürfte die vor allem von den Grünen geforderte Stilllegung von Kohlekraftwerken zumindest verzögern. Der Konzern betreibt an mehreren Standorten in Deutschland Stein- oder Braunkohlekraftwerke. Der Aktienkurs kletterte daher um rund 3,5 Prozent nach oben.

Auch die Papiere von Autokonzernen wie Daimler lagen im Plus, schließlich nimmt mit den Grünen einer ihrer schärfsten Kritiker nun nicht auf der Regierungsbank Platz. Für Börsianer haben noch andere Unternehmen an Attraktivität gewonnen. "Solide wachsende Unternehmen, insbesondere aus den Bereichen Gesundheit, Technologie und Software, dürften wieder die Führung übernehmen - im Vergleich zu Unternehmen, die eine besonders positive Konjunktur für ihre schwachen Fundamentaldaten benötigen", meint Fondsmanager Christian Engelbrechten vom Fidelity Germany Fund.

UND WELCHE STEHEN AUF DER VERLIERERSEITE?



Ohne die Grünen dürfte der Ausbau der Erneuerbaren Energien langsamer vorankommen. Der Windkraftanlagen-Bauer Nordex rutschte deshalb an der Börse zeitweise um fünf Prozent ab, der Solarindustrie-Zulieferer SMA Solar büßte rund vier Prozent ein. Auch Einzelhändler und Konsumgüter-Hersteller hätten von Jamaika profitieren können, schließlich haben alle Parteien milliardenschwere Steuersenkungen für die privaten Haushalte versprochen. Das hätte den Konsum weiter ankurbeln können.

rtr