Mit den Förderkürzungen der OPEC und einer anziehenden Konjunktur in China könnte der Ölpreis über die Marke von 100 Dollar pro Barrel steigen. Wie sich Anleger in der Branche positionieren
Mut zum Risiko: Amerikas preissensible Fracking-Unternehmen haben ihre Produktion in diesem Jahr gar nicht oder zu einem wesentlich geringeren Anteil als im Vorjahr abgesichert. Damals hatten Fracker, die Öl und Gas mit hohem Wasserdruck und Chemikalien aus zermalmtem Ölschiefer pressen, im Schnitt 40 Prozent ihrer Fördermengen zum Durchschnittspreis von 55 Dollar pro Barrel abgesichert. Wegen der hohen Inflation und der drohenden Rezession in den Industrieländern, die den Öl-und Gasverbrauch verringern würde, rutschte der Preis für Öl der Sorte Brent von seinem Hoch bei 128 Dollar pro Barrel (159-Liter-Fass) im Juni 2022 seither kontinuierlich ab. Mit dem Beben im Bankensektor kurzfristig sogar unter 75 Dollar. Anfang April beschloss die von Saudi-Arabien dominierte Organisation erdölfördernder Länder OPEC und Russland, die OPEC+, gegenzusteuern. Die tägliche Förderung wird bis Jahresende um 500 000 Barrel gedrosselt. Die Golfstaaten reduzieren, Russland verlängert seine bereits um 500 000 Barrel verringerte Förderung bis Jahresende. Mit der anziehenden Konjunktur in China erwarten die Experten des US- Börsendiensts Bloomberg zwischen Angebot und Nachfrage nun in der zweiten Jahreshälfte ein tägliches Defizit von zwei Millionen Barrel. Bis Ende des Jahres werde Öl der Sorte Brent mehr als 100 Dollar pro Barrel kosten, prognostizieren die Experten.
Aktienkurse der Fracking-Spezialisten ziehen an
An der Wall Street zogen vor allem die Aktienkurse von Fracking-Konzernen wie Marathon Oil, Hess, ConocoPhillips und Pioneer Natural Resources deutlich an. "Wir sichern uns nicht ab", hatte Pioneer-Chef Scott Sheffield in einem Interview vor der Förderkürzung der OPEC+ gesagt. Auch er ist überzeugt, dass die Ölnachfrage trotz der drohenden Rezession robust genug sein wird, um den Preis auf 100 Dollar steigen zu lassen. Was Fracker und Ölmultis freut, nährt Befürchtungen bei Ökonomen: "Um die wirtschaftliche Erholung bei hoher Inflation und einer möglichen Rezession in Gang zu bringen, sind niedrige Ölpreise notwendig", erläutert Adi Imsirovic vom Oxford Institute for Energy Studies (OIES). Imsirovic leitete früher den Öl-und Gashandel von Russlands Energieriesen Gazprom. Wenn nun die Zentralbanken ihre Leitzinsen wegen einer hohen Inflation nicht wieder senken können, könnte die OPEC die Weltwirtschaft in eine Rezession führen, warnt Imsirovic. Für 2023 erwartet der Internationale Währungsfonds IWF einen Rückgang des globalen Wirtschaftswachstums auf 2,8 Prozent.
Konsolidierung läuft im Fracking Business
In Amerikas Fracking-Branche deutet sich währenddessen nach zehn Jahren rasanten Wachstums in Regionen mit großen Ölsandvorkommen wie im Permischen Becken in den US-Bundesstaaten Texas und New Mexico eine Konsolidierung an. Fracker müssen viel investieren und haben sich ihren Aktionären gegenüber zu hohen Ausschüttungen verpflichtet. Neue Erschließungen kommen bei Anteilseignern wegen der hohen Kosten immer seltener gut an. "Unsere Branche braucht mehr Konsolidierung", sagte ConocoPhillips-Chef Ryan Lance bereits im Februar. Zwischen 2020 und 2022 gab es bei Frackern jährlich 180 Übernahmen im Wert von jeweils rund 59 Milliarden Dollar, berichtet die Investmentbank Mizuho. Der Zeitpunkt für Übernahmen ist gut. Im Rekordjahr 2022 verdiente die Top Ten der US-Fracker nach Zahlen des Börsendienstleisters FactSet mehr als 70 Milliarden Dollar. Viele Unternehmen haben ihre Schulden deutlich abgebaut.
Fracker jetzt im Visier von ExxonMobil und Co.
Auch Amerikas Ölriesen haben sehr gut verdient: Primus ExxonMobil netto 55,7 Milliarden Dollar, Chevron, die Nummer 2, rund 35,5 Milliarden.
Einiges davon dürfte nun in Zukäufe von Frackern im Permischen Becken fließen. Exxon und Pioneer Natural Resources reden bereits miteinander, berichtet das "Wall Street Journal".
Die Vorkommen im Permischen Becken sind laut Pioneer "ähnlich groß wie Saudi-Arabiens größtes Öl-und Gasfeld". In der Region arbeiten wenige so profitabel wie Pioneer. ExxonMobil würde mit Pioneer dort zur Nummer 1 werden. Aktuell fördert Exxon in der Region 550 000 Barrel täglich. Bis zum Jahr 2027 soll es eine Million werden. Auch Berkshire Hathaway, der Beteiligungskonzern von Amerikas Investorenlegende Warren Buffett, setzt auf die Region und erhöhte seinen Anteil an Occidental Petroleum Ende 2022 um 3,7 Millionen Aktien auf 23,5 Prozent.
Milliarden für einen klimafreundlichen Umbau bei BP, TotalEnergies und Shell
An den Börsen in Europa sind BP, Shell und TotalEnergies die Gewinner der jüngsten Entwicklung. Seit der Förderreduzierung legten ihre Aktienkurse stärker zu als der Branchenindex des Stoxx Europe 600. BP hat seine Schuldenlast deutlich reduziert, investiert nun mehr in Öl und Gas und will sein Gesamtvolumen bei den fossilen Energieträgern bis Ende 2030 nur um 24 statt bisher 40 Prozent reduzieren. Shell liefert als Primus bei Flüssiggas (LNG) ein Fünftel des globalen Bedarfs und ist der größte Gewinner in diesem nun wieder begehrten Markt. Und Total-Energies hat das größte Portfolio an erneuerbaren Energien in der Brache und investiert auch am meisten. Spitze sind die Franzosen auch bei der Kontinuität ihrer Dividendenzahlungen.
ExxonMobil - höchste Rendite als Ziel
Ab Mai schafft der globale Primus der Energiebranche drei neue Einheiten. Global Business Solutions mit Finanzdienstleistungen und Personalverwaltung, Supply Chain mit Logistik und Materialeinsatz sowie erstmals eine Einheit für globalen Energiehandel, die später im Jahr starten soll. Mit der Reorganisation strebt ExxonMobil die höchsten Renditen in der Branche an. Eine Übernahme von Pioneer bewerten Analysten bisher positiv. Solider Dividendenwert.
Pioneer Natural Resources - viel Marge, wenig Schulden
Beim Fracking zählt Pioneer mit fast 16 Milliarden Dollar Umsatz 2022 zu den profitabelsten Unternehmen. Rund 79 Prozent der freien Mittelzuflüsse gehen via Dividenden an die Aktionäre. Die Verschuldung des Konzern aus Irving in Texas ist gering. Auch das macht Pioneer für Energieriesen wie Exxon zu einem attraktiven Übernahmeziel.
BP, TotalEnergies, Shell - bei der grünen Transformation in Führung
Im Gegensatz zur amerikanischen Konkurrenz investieren BP, TotalEnergies und Shell Milliarden in Solar- und Windparks sowie in Wasserstoff. BP erhöhte jüngst die bis 2030 geplanten Investitionen um bis zu 16 Millliarden Dollar, jedoch auch um die tägliche Öl- und Gasförderung 2030 bei zwei Millionen Barrel zu halten. Im Vergleich zu 2019 ist das eine um 25 Prozent geringere fossile Produktion anstatt der ursprünglich geplanten Reduktion um 40 Prozent. Der klimafreundliche Umbau des Geschäftsmodells müsse bezahlbar bleiben, begründet BP diese Korrektur. Shell will 2050 als Erster emissionsneutral sein und verfolgt dabei einen sehr breiten Ansatz an. TotalEnergies hat das größte grüne Portfolio (35 GW im Einsatz und in Entwicklung) und lenkt den höchsten Anteil der Investitionen, rund ein Viertel, in den klimaneutralen Umbau.
Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: ExxonMobil, TotalEnergies.